Last-Minute-Milliarden
Ein umstrittenes Finanzpaket von 500 Milliarden Euro soll durch eine Verfassungsänderung noch im alten Bundestag beschlossen werden – während die Grünen eine eigene Strategie fordern und die Kommunen weiterhin um ihre Finanzen bangen.
„Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“ - ob Konrad Adenauer diesen Satz wirklich gesagt hat, bleibt unklar. Das dem ersten deutschen Bundeskanzler zugeschriebene Zitat wird jedenfalls immer gern bemüht, wenn gewählte Volksvertreter eine inhaltliche Kehrtwende vollziehen - so wie jüngst Friedrich Merz. Der CDU-Wahlsieger möchte die Gunst der Stunde nutzen, um in letzter Minute im alten Bundestag ein großes Finanzpaket mit seinem designierten Koalitionspartner, der SPD, zu beschließen - obwohl er sich im Wahlkampf gegen neue Schulden ausgesprochen hatte.
Die Notwendigkeit einer schnellen Abstimmung ergibt sich nicht aus der inhaltlichen Abkehr vom schwarzen Sparkurs, sondern aus den Mehrheitsverhältnissen im Parlament: Im noch aktuellen Bundestag besäßen Union und SPD gemeinsam mit den Grünem - die sie für die Abstimmung einspannen wollen - eine Zweidrittelmehrheit. Diese braucht die in der Entstehung begriffene große Koalition, weil ihre finanziellen Pläne nur mit einer Grundgesetzänderung auf den Weg gebracht werden können. Im neuen Bundestag werden Christdemokraten, Sozialdemokraten und Grüne nicht mehr über genügend Sitze verfügen, um gemeinsam die Verfassung zu ändern. Linke und AfD könnten es verhindern.
Kernpunkte des Finanzpakets
Zentraler Bestandteil des Finanzpakets ist ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen zur Modernisierung der Infrastruktur, insbesondere für Straßen, Schienen und Brücken. Zudem ist geplant, die Schuldenbremse zu lockern, um zusätzliche Mittel für Verteidigungsausgaben bereitzustellen. Die Länder sollen jährlich neue Schulden in Höhe von 0,35 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts aufnehmen können. Weitere Maßnahmen umfassen die Senkung der Stromsteuer auf das EU-Minimum, eine Reform der Einkommensteuer zur Entlastung der Mittelschicht, die dauerhafte Reduzierung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie auf sieben Prozent sowie die Wiedereinführung von Kaufanreizen für Elektrofahrzeuge.
Vor der ersten Lesung im Bundestag am Donnerstag, 13. März, zeichnete sich ab, dass die Grünen sich - trotz Appell an ihre „staatspolitische Verantwortung“ - weigern würden, Union und SPD die Mehrheit für ihre Pläne zu verschaffen. Die Fraktionsspitze vom Bündnis90 empfahlen ihren Abgeordneten, gegen das Paket in seiner jetzigen Form zu stimmen. Die Partei hat am Montag einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, die Schuldenbremse ausschließlich für Verteidigungsausgaben zu lockern, die 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen. Dabei soll der Begriff „Verteidigungsausgaben“ weiter gefasst werden, um beispielsweise den Schutz kritischer Infrastrukturen und die Bündnisfähigkeit Deutschlands einzubeziehen. Die finale Abstimmung ist am kommenden Dienstag, 18. März geplant - bis dahin werden alle Beteiligten wohl noch einmal verhandeln müssen.
Widerstand der Grünen
So sieht es auch Wolfgang Goltsche, Sprecher der Grünen im Landkreis Osterholz. „Es ist natürlich erfreulich, dass nun an unsere staatspolitische Vernunft und Verantwortung appelliert wird. Doch wo wurde diese im Wahlkampf gezeigt? Oft schien es, als seien wir die wahren Gegner – und nicht die Bedrohung von Rechtsaußen“, sagt Goltsche. Die aktuelle Situation erfordere es, „Sicherheit ganzheitlich zu betrachten“ - diese Perspektive vermisse er im aktuellen Vorschlag von Union und SPD. „Um diese Sichtweise zu etablieren, werden echte Verhandlungen notwendig sein.“
Parteikolleginnen aus Bremervörde stimmen zu: „Seit 2023 warb Bündnis 90/Die Grünen vergeblich um die Zustimmung einer Grundgesetzänderung zur Reform der Schuldenbremse, um den Herausforderungen, vor denen Deutschland steht, umfassend begegnen zu können“, sagen die Sprecherinnen Marion Kaiser und Jana Basilon. „Wir sind nicht bereit CDU und SPD auf Pump das Spielgeld für Steuergeschenke und Klientelpolitik zuzuschanzen.“ Eine „echte“ Reform, wie sie den Grünen vorschwebt, wünschen sie sich mit einer Mehrheit im neuen Bundestag - unter Beteiligung der Linken.
Renate Warren und Sven Kielau waren über die Nachricht einer Einigung zwischen Union und SPD zunächst erleichtert. Enttäuschung setzte allerdings schnell ein, als sie die Inhalte des Finanzpakets zu sehen bekamen: „Mit Wahlgeschenken wie Agrardiesel für die Landwirte, einem ‚Weiter so‘ bei der Rente, einem verringerten Mehrwertsteuersatz für Restaurantbesucher, einer teuren Mütterrente oder der höheren Pendlerpauschale wird Klientelpolitik betrieben“, bemängeln die beiden Vorstandsmitglieder der Rotenburger Grünen. Dass ihre Partei Verhandlungen fordert, finden sie richtig: „Wenn echte Investitionen in den Klimaschutz, eines der drängendsten Probleme der Gegenwart, als ein großer Teil des Sondervermögens festgeschrieben werden, dann kann dem Finanzpaket im Bundestag zugestimmt werden.“
Wichtig sei außerdem, dass nur zusätzliche Investitionen durch das Sondervermögen finanziert werden - nicht bereits laufende Kosten. Diesen Punkt kritisiert auch Brigitte Neuner-Krämer (Grüne Osterholz-Scharmbeck): „Es ist eine Mogelpackung, fällige Investitionen in das Sondervermögen abzuschieben um im Haushalt Spielräume für Wahlversprechen zu schaffen, die nicht finanziell hinterlegt waren.“
Kommunen zwischen Hoffnung und Skepsis
Vertreter der Kommunen begrüßen das Finanzpaket grundsätzlich - sehen aber weiterhin ungelöste Probleme in ihren Haushalten. „CDU, CSU und SPD haben mit ihrer schnellen Teileinigung zu den geplanten Sondervermögen in den Sondierungsgesprächen ein Signal gesetzt, das für die weiteren Verhandlungen, aber auch für den dringend notwendigen Stimmungsumschwung in der Wirtschaft durchaus hoffen lässt“, sagt Dr. Achim Brötel, Präsident des Deutschen Landkreistages. Er warnt jedoch im gleichen Atemzug vor überbordender Bürokratie. „Wenn das Geld seinen Zweck erfüllen soll, dann muss es zügig, in vollem Umfang und ohne überbürokratisierte Zuteilungsverfahren einfach und schnell dorthin kommen, wo es tatsächlich gebraucht wird, nämlich in den Kommunen vor Ort.“
Bernd Lütjen, Landrat des Kreises Osterholz, präzisiert: „Es kommt darauf an, welcher Anteil wirklich zur Stärkung der Investitionsfähigkeit über die Länder bei den Kommunen ankommt.“ Hohe Investitionen seien in nahezu jeder Kommune notwendig, so Lütjen. Die Pläne aus Berlin seien sicherlich nicht der „ersehnte Befreiungsschlag“, könnten aber helfen, die jährliche Zins- und Tilgungslast zu reduzieren und auf diesem Wege Investitionen in Bildung und Infrastruktur zu sichern. Landrat Marco Prietz (Landkreis Rotenburg) betont in diesem Zusammenhang, dass ein Großteil der für die Menschen wichtigen Infrastruktur in kommunaler Hand ist. „Ob Straßen, Schulen, Kitas oder Sporthallen: der Zustand der kommunalen Infrastruktur bestimmt die Lebensqualität der Menschen entscheidend mit.“
Das eigentliche Problem der Kommunen - darauf verweist der Landkreistag seit einiger Zeit - liegt aber an anderer Stelle. „Unser Grundproblem ist die drohende finanzielle Handlungsunfähigkeit unserer Haushalte“, wiederholt Achim Brötel. Solange die Kommunen weiterhin komplizierte und teure Aufgaben ohne ausreichende Gegenfinanzierung übernehmen müssten, ändere sich daran nichts. „Investitionsprogramme lösen die kommunalen Finanzprobleme nicht, wenn es etwa um Steigerungen der Personalkosten infolge teurer Tarifabschlüsse, zusätzliche Personalbedarfe durch neue Aufgaben oder aus dem Ruder laufende Sozialausgaben geht.“ Die Kommunen steckten in ihrer bislang größten Krise. Der Deutsche Landkreistag sieht nur eine Lösung: „Eigene zusätzliche Steuermittel.“

Kurz & Knapp - Der Wochenrückblick

Ein Kind der 90er

"Crossfire" im KuZ
