Patrick Viol

Macht und Mord

Ein Bundeswehrsoldat tötet vier Menschen, die seiner Ex-Partnerin nahe standen, um ihr Leben zu zerstören. Die Tat hat auch gesellschaftliche Gründe.

Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 171.067 Frauen Opfer häuslicher Gewalt. Getötet durch ihren (Ex-)Partner wurden 133 Frauen, also an jedem dritten Tag eine.

Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 171.067 Frauen Opfer häuslicher Gewalt. Getötet durch ihren (Ex-)Partner wurden 133 Frauen, also an jedem dritten Tag eine.

Bild: Adobestock

Scheeßel. Ein Bundeswehrsoldat tötet vier Menschen, die seiner Ex-Partnerin nahe standen, um ihr Leben zu zerstören. Solche Taten sind entsetzlich und illustrieren zugleich die Gefahr gesellschaftlicher Ungleichheit von Mann und Frau.

 

Seit 105 Jahren nehmen Frauen in Deutschland ihr Recht zu wählen wahr. Abgesprochen wurde es ihnen mit der Begründung, sie seien keine autonomen Wesen, könnten also nicht über sich selbst bestimmen und entsprechend nicht über politische Belange.

Diese Begründung war schon vor 100 Jahren eine sexistische, frauenfeindliche Lüge. Doch während Frauen nun schon seit mehr als einem Jahrhundert in Deutschland ihr Wahlrecht wahrnehmen, erfahren sie nicht selten Gewalt, wenn sie unabhängig vom oder gegen den Willen ihrer Partner oder Expartner frei über ihr Leben zu bestimmen versuchen. Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 171.067 Frauen Opfer häuslicher Gewalt. Getötet durch ihren (Ex-)Partner wurden 133 Frauen, also an jedem dritten Tag eine. Täglich gibt es einen polizeilich registrierten Tötungsversuch an einer Frau. Alle Zahlen weisen einen Trend nach ob auf.

Die jüngste bekanntgewordene Tat ereignete sich in Scheeßel. Der 32-jährige Soldat Florian G. hat am vergangenen Wochenende mutmaßlich vier Menschen erschossen. Bei den Opfern handelt es sich um Menschen, die seiner schwangeren Ex-Partnerin nahe gestanden haben. Florian G. tötete zunächst den neuen Freund und Vater des ungeborenen Babys und dessen Mutter. Danach zog er weiter, um die beste Freundin zu töten. Dabei tötete er auch deren dreijährige Tochter. Nach seiner Tat stellte sich der Täter. Er sitzt in U-Haft. Über das Motiv wird noch spekuliert. Dass es sich um eine Rachetat handelt, deren Auslöser die Schwangerschaft mit dem neuen Partner gewesen sein könnte, wird angenommen.

Im Vorfeld der Tat fühlte sich das Opfer bereits von ihrem legal Waffen besitzenden Ex-Freund bedroht und zeigte ihn bei der Polizei deshalb an. Der Täter erhielt daraufhin eine Gefährderansprache. Hierbei hätten sich keine weiteren Hinweise auf eine unmittelbar bevorstehende Eskalation des Konflikts gezeigt, wie die Polizei mitteilt. Die Waffenbehörde wurde von der Anzeige nicht in Kenntnis gesetzt, wie t-online berichtet. Die Staatsanwaltschaft werde nun neben der Aufklärung der Tötungsdelikte in einem gesonderten Verfahren prüfen, ob die Handlungen des Beschuldigten gegenüber dem späteren Opfer in der Vortatphase den Tatbestand einer Bedrohung erfüllten.

 

Mangelhafter Schutz von Frauen

 

Der Fall zeigt in aller Brutalität: Auch wenn für Frauen mit dem Wahlrecht und formaler Gleichberechtigung politische und ökonomische Selbstbestimmung und eine (Teil-)Abschaffung struktureller Gewalt ihnen gegenüber erreicht worden ist, erfahren nicht wenige von ihnen handgreifliche Gewalt, wenn sie von ihrer Selbstbestimmung unabhängig vom oder gegen den Willen von Männern Gebrauch machen.

Die Tat legt nahe, dass der Bundeswehrsoldat aus Scheeßel sich an seiner Expartnerin rächen wollte - für ihren Entschluss, ihr Leben ohne ihn weiterzuführen, da er dieses Leben nun komplett zerstört hat.

Er zeigt aber auch, dass der polizeiliche wie gesellschaftliche Schutz von Frauen vor Gewalttätern aus dem sogenannten Nahbereich nicht ausreichend ist.

Gefährderansprachen sind gegen Mörder ein stumpfes Schwert. Zudem seien, wie es seitens der Täterforschung und von Opferverbänden immer wieder heißt, die vorhandenen Risikobewertungsinstrumente in vielen Fällen nicht geeignet, konkrete Bedrohungen und Warnzeichen für Morde innerhalb von (Ex-)Partnerschaften zu erfassen, insbesondere wenn keine vorherige Gewalt sichtbar wurde.

Hinzukommt, dass entgegen der Verlautbarungen der Ampel-Regierung, Frauen besser zu schützen, Frauenhäuser, Interventions- und Beratungsstellen weder ausreichend vorhanden (vor allem in ländlichen Gebieten), noch personell oder materiell adäquat ausgestattet und oft unterfinanziert sind. Im November 2023 hat man aber immerhin begonnen, eine Verbesserung der Strategie zum Schutz von Frauen zu erarbeiten und die Istanbul Konvention praktisch werden zu lassen.

 

Gefahr gesellschaftlicher Ungleichheit

 

Was Männer konkret zu solchen Taten letztlich antreibt und welche psychischen Dispositionen individualgeschichtlich ausschlaggebend dafür sind, dass sie ihre (Ex-)Partnerinnen oder deren Angehörige töten, lässt sich schwer einfach und eindeutig beantworten.

Gesellschaftliche Ursachen, die individualpsychologische Dispositionen zu Gewalttätigkeiten verstärken können, lassen sich hingegen benennen. Täter-Forscherinnen wie Jane Monckton-Smith oder die Journalistinnen Laura Backes und Margherita Bettoni, die sich dafür einsetzen, dass Femizid, der „Mord an Frauen, weil sie Frauen sind“, ein Straftatbestand wird, verweisen auf die anhaltende ökonomische Ungleichheit zwischen Männern und Frauen. Da diese für viele Frauen faktische Abhängigkeit vom Partner bedeutet, erwächst auf ihr stets von Neuem der mit der sexistischen Lüge von einst verschränkte Glaube von Männern, sie erhielten mit der Liebe einer Frau auch das Eigentum an ihr samt Macht-und Kontrollbefugnissen. Kommt es dann durch eine Trennung zum Kontrollentzug und Machtverlust, kann dies bei manchen Männern zu Gewalt führen. Backes und Bettoni haben mit vielen Tätern gesprochen, die genau dies als Grund angeben.

Neben der ökonomischen Ungleichheit wird in der Forschung auch eine mangelhafte Sensibilisierung von Jungen gegenüber Gewalt an Frauen problematisiert. Da sie in einer Gesellschaft aufwachsen, die Abhängigkeiten von Frauen reproduziert, wäre eine effektiver Schutz von Frauen vor Gewalt, Jungs beizubringen, dass beschränkte Autonomie von Frauen ein Resultat mangelhafter gesellschaftlicher Strukturen ist, kein mit ihrem Geschlecht einhergehender Wesenszug.

 

 


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