Benjamin Moldenhauer

Nichts zu lachen und nichts zu lernen

Alireza Golafshans Film bedient alle Vorurteile über das deutsche Kino. Der Film vermag sich nicht zwischen Komödie und Drama zu entscheiden und versteigt sich in ein Loblied des Einfachen, Guten und Herzlichen.

Nicht nur die Erziehung von Milan verläuft unentschieden: „Alles Fifty Fifty“ kann sich nicht entscheiden, ob er Familiendrama oder -komödie sein will und ist dann nichts von beidem richtig.

Nicht nur die Erziehung von Milan verläuft unentschieden: „Alles Fifty Fifty“ kann sich nicht entscheiden, ob er Familiendrama oder -komödie sein will und ist dann nichts von beidem richtig.

Bild: Leonine Studios

Es war für lange Jahre unter Filmkritikern und überhaupt Menschen, denen das Kino für ihr Leben und ihre Anschauung der Welt etwas bedeutet, gang und gäbe, das deutsche Kino nach dem Tod Rainer Werner Fassbinders von ganzem Herzen schrecklich zu finden. Einen Film zu drehen, sei fast so schwer, wie einen deutschen Film zu Ende zu sehen, sang Jens Friebe 2004 auf seinem Album „Vorher Nachher Bilder“. Vermutlich nachdem er Sönke Wortmanns „Das Wunder von Bern“ gesehen hatte, der Wesentliches zur Wiedergutwerdung der Nation beigetragen hat. Oder angesichts der damaligen Dauerpräsenz von Veronica Ferres und, wie auch heute noch, Til Schweiger. Also mit Fug und Recht.

Seitdem hat sich einiges getan, und es ist nicht alles schlecht. Trotz eines Förderwesens, das Eigensinn strukturell unterbindet, kommt immer wieder so etwas zustande wie die Filme Tilman Singers, „Wild“ von Nicolette Krebitz oder leider weitgehend ungesehene Schönheiten wie „Der Nachtmahr“ oder Till Kleinerts „Der Samurai“. Aber dann kommt ein Film um die Ecke, der jedes routinierte Vorurteil gegenüber dem deutschen Kino so sehr bestätigt, dass es wie Absicht wirkt.

Alles verloren

Der Plot von „Alles Fifty Fifty“ geht so: Marion (Laura Tonke) und Andi (Moritz Bleibtreu) sind geschieden und teilen sich die Erziehung des gemeinsames Sohnes Milan (Valentin Thatenhorst) im gleichberechtigten Wechselmodell. Die Ansprüche sind hoch, Marion hat alle Erziehungsratgeber gelesen und bezahlt den Kinderpsychologen, der auf der Münchner Maximilianstraße residiert, Andi scheißt seinen Sohn mit gedankenlosen Geschenken zu. Milan dreht entsprechend frei und wird auffällig in der Schule, die Schulpsychologin bittet zum Elterngespräch und diagnostiziert elterlich bedingte Konfusion als Ursache des Problems. Also die unterschiedlichen Erziehungsstile von Andi und Marion.

Bis zu diesem frühen Punkt ist eigentlich schon alles verloren. Es liegt nicht an den einzelnen Leuten. Moritz Bleibtreu zum Beispiel kann ja was, wenn das Drehbuch ihm nicht bloß Sätze in den Mund legt, die klingen, als hätte sie jemand mit Hammer und Meißel irgendwo rausgedroschen.

Es stimmt halt einfach nichts. „Alles Fifty Fifty“ kann sich nicht entscheiden, ob er Familiendrama oder -komödie sein will und ist dann nichts von beidem richtig. Und da er seinen Rhythmus nicht findet, wirkt das ganze Plotkonstrukt schlimm unplausibel. Wenn man im Fluss eines Films mitschwimmt, richten auch psychologische Unglaubwürdigkeiten trotz realistischem Setting keinen Schaden an. Wenn aber ein Film ständig stolpert und den eigenen Schematismus nicht verbergen kann, fließt gar nichts.

Plot durchgeprügelt

Das Verhältnis zwischen Andi und Marion ist nur deswegen nicht, wie man so sagt, zerrüttet, weil beide sich mit aller Kraft zusammenreißen, für die Erziehung des gemeinsamen Kindes. Andi schlägt sehr schnell vor, gemeinsam in den Urlaub nach Italien zu fahren, der neue Freund von Marion kommt auch mit. Um zu verhindern, dass Milan noch einmal sozial auffällig wird. Überhaupt müssen die Figuren sehr eilig von einem Zustand in den nächsten kippen, um den Plot Richtung Zielgerade zu prügeln. Nach ein paar Tagen im Urlaub landen Andi und Marion zusammen im Bett, und Marion trennt sich von ihrem jungen Lover. Dann gibt es einen Analdildowitz, dann passiert auf der Ebene wieder nichts; in ihrer Willkür wirkt die Figurenpsychologie ganz charmant. Milan jedenfalls hat keinen Bock mehr und haut ab, raus aus dem hochpreisigen Ferienresort, auf den Campingplatz und ins wahre Leben. Marion und Andi rasen im Cabrio hinterher.

Vom Egalen ins Ärgerliche

In vielem wirkt „Alles Fifty Fifty“ wie aus der Zeit gefallen. Zum Beispiel in der anstrengenden Idee, dass die es gut meinende, aber leider an der eigenen Überambitioniertheit scheiternde deutsche Kleinfamilie von nicht-deutschen Instanzen an ganz einfache Wahrheiten erinnert werden muss. Das ist punktuell die Bevölkerung in der italienischen Provinz, die das Einfache vorlebt. Und vor allem ein griechischer Schwimmlehrer, der in der italienischen Ferienanlage Milan die Angst vor dem Wasser nehmen soll. Was dann als Metapher für das Leben genommen und zu Steilvorlagen für einen ganzen Schwung Kalendersprüche wird, gegen den „Der kleine Prinz“ und die gesammelte „Live, Laugh, Love“-Ratgeberliteratur noch wie analytische Philosophie wirkt.

Vom Egalen ins Ärgerliche kippt das Ganze, wenn der Film aus Versehen Klassenbewusstsein demonstriert. Nämlich wenn der Plot das Ex-Ehepaar und ihr unglücklich verliebtes Kind auf eine eher der arbeitenden Bevölkerung zugehörigen Familie (alleinerziehender Vater, Großmutter, zwei oder drei Kinder) loslässt, die ebenfalls als Inbegriff des Einfachen und Guten und vor allem Herzlichen definiert wird. Im Kontakt mit denen, die keinen Zugang zu Luxus haben und geschmacklose Klamotten tragen, löst sich die Verhärtung und der Weg ist frei, um Milan zurück in die Mitte zu holen. Dass die Unternehmung geglückt ist, führt der Film in der letzten Szene anhand einer Schulaufführung vor, bei der Milan ohne auszuscheren mitmacht. Alle adoleszente Abwehr ist gekappt, „Alles Fifty Fifty“ versteht das als Happy End. Auf dem Weg dahin gibt es wenig zu lachen und nichts zu lernen.

 

Der Film läuft am Dienstag, 19. November, im Schwaneweder Filmpalast.


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