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„Selbst und ständig“ als Belastung

Hilfe für Unternehmer:innen mit Burnout

Haben vor anderthalb Jahren die „Mehrwerte Beratung“ gegründet: Maren Brinkhoff (li.) und Heike Radick.

Haben vor anderthalb Jahren die „Mehrwerte Beratung“ gegründet: Maren Brinkhoff (li.) und Heike Radick.

Ritterhude (mh). Heike Radick und Maren Brinkhoff betreiben seit anderthalb Jahren die Unternehmensberatung „Mehrwerte Beratung“ in Ritterhude und richten sich damit gezielt an überlastete Selbstständige und Unternehmer:innen.

Der Anzeiger beleuchtet 2023 regelmäßig das Themenfeld psychische Gesundheit. Was macht sie aus? Was gefährdet sie? Was hilft Betroffenen? Häufig drehte sich die Reihe dabei um das Krankheitsbild der Depression oder des sogenannten Burnouts. Experten und Betroffene kamen bereits zu Wort.

Seit 1,5 Jahren nimmt die Unternehmensberatung „Mehrwerte Beratung“ aus Ritterhude einen aus ihrer Sicht bisher gesellschaftlich kaum wahrgenommenen Personenkreis mit vielen Betroffenen in den Blick: Aus eigener leidvoller Erfahrung wissen Heike Radick und Maren Brinkhoff, wie krisenanfällig Kleinunternehmer:innen und Selbstständige sind.

 

Frau Radick, Frau Brinkhoff: Nach Jahrzehnten erfolgreichen Unternehmertums verkauften Sie 2021 ihr Unternehmen und gründeten eine Beratungsagentur. Warum?

 

Nach 15 erfolgreichen Jahren rutschte ich (Maren Brinkhoff) unbemerkt in einen Burnout. Erst als nichts mehr ging löste ich mich vom Unternehmen und ging auf eigenen Wunsch in eine Klinik. Dort wurde mir in vielen Therapiesitzungen klar, dass es so nicht weiter geht. Hinzu kamen spürbare Veränderungen des Marktes, die ein Arbeiten nach unseren eigenen unternehmerischen Grundsätzen und Werten fast unmöglich machten. Weil deutlich wurde, dass wir uns ziemlich hätten verbiegen müssen, um erfolgreich weiterzuarbeiten, haben wir einen neuen Weg eingeschlagen.

 

Es gibt zahlreiche Kursangebote für Führungskräfte oder für Burnout-Betroffene. Warum fühlten Sie sich von den bestehenden Hilfsangeboten nicht abgeholt? Was fehlte?

 

Das Verständnis, das Wissen um die Besonderheiten der Selbstständigkeit. Fehlendes, betriebswirtschaftliches Verständnis. Die Selbstständigkeit ist einerseits spannend – andererseits aber eben auch extrem herausfordernd. Denn man ist auf das Engste mit dem Unternehmen verflochten – inklusive der kompletten Haftung.

Gutgemeinte Hinweise wie: „Sie müssen mal 3 Wochen in den Urlaub fahren und das Handy einfach mal abschalten“ sind deshalb für Selbstständige einfach nicht umsetzbar. Es fehlt das Verständnis, dass z.B. ein wichtiges Großprojekt oder ein strategisch wichtiger Kunde in der Selbstständigkeit immer Priorität genießt.

Im Gegensatz zum bestehenden Kursangebot möchten wir mit unseren Kunden individuell und frühzeitig an Lösungen arbeiten. Wir möchten die Unterstützung sein, die wir in unserer Zeit als Unternehmerinnen gebraucht hätten.

 

Was unterscheidet ihrer Ansicht nach Unternehmer:innen und Selbstständige in Sachen Burnout von Angestellten oder überlasteten Familienoberhäuptern?

 

Burnout ist in vielen Berufsgruppen ein Tabu. Bei Selbstständigen jedoch oft ein komplettes „No-Go“. Sich einzugestehen, dass man mental am Limit ist, fällt sicherlich den meisten Menschen schwer. Bei Selbstständigen ist die Hürde noch höher. Viele Themen können hier den Druck enorm erhöhen. Der „Ruf in der Branche“, insbesondere bei Traditionsunternehmen, darf nicht beschädigt werden. Die Verantwortung für Mitarbeitende und das Gefühl „ohne mich geht es nicht“ lasten schwer auf den Schultern. Man kann sich einen Burnout schlichtweg nicht leisten: Finanzielle Unsicherheiten, Existenzängste – dem kann man nicht entkommen. Denn meistens haften Selbstständige mit ihrem kompletten Privatvermögen für das Unternehmen.

 

Welche Faktoren erleben Unternehmer:innen als besonders belastend?

 

Für viele wird mit der Zeit die ständige Verfügbarkeit, ein „Selbst und ständig“ mehr und mehr zur Belastung. Weiterhin das Gefühl, dass alles auf den Schultern der Unternehmenden lastet – nicht nur die operativen Tätigkeiten sondern auch die strategischen.

Für die meisten Klienten ist zudem der administrative Aufwand für Dokumentationen, Steuern und Abgaben, teils enorm gestiegen und raubt immer mehr kostbare Zeit und Nerven.

Einige gesellschaftliche Themen können sich direkt oder indirekt auf das Unternehmen auswirken: Bildung (Fachkräftemangel), Klimawandel, Demographischer Wandel (fehlender Ausbildungsnachwuchs), Zinspolitik. Insbesondere der stetig steigende Leistungs- und Erwartungsdruck - von außen wie von innen. Man muss und möchte immer funktionieren.

Je länger die Selbstständigkeit dauert, desto mehr belastet es einige, dass eine Trennung von Beruf und Privatleben quasi nicht möglich ist. Das eine greift in das andere über. Eine Schieflage in der Firma wirkt sich schnell auf das Privatleben aus – familiäre oder persönliche Probleme haben über kurz oder lang auch Einfluss auf das Unternehmen.

Darüber hinaus fehlt oft die Zeit „für sich“: Für private Interessen, Familie und Freunde, Hobbies. Selbst im Urlaub kann man oft nicht komplett abschalten und die Batterien aufladen.

 

Welcher Kundenkreis wendet sich auffallend häufig an Sie?

 

Wir arbeiten oft mit Handwerksbetrieben zusammen. Und ja - auch Angehörige sind ein fester Bestandteil unseres Kundenkreises. Teils, weil sie im Betrieb mitarbeiten und betriebswirtschaftliche Unterstützung benötigen und/oder weil die Firma, die Selbstständigkeit immer auch die Angehörigen betrifft und hier persönlicher Gesprächsbedarf besteht.

Aber auch KMU mit bis zu 300 Angestellten gehörten schon zu unserem Kundenkreis. Immer häufiger wenden sich auch Existenzgründer:innen an uns, meistens aus dem Bereich der Solo-Selbständigkeit.

Bei Führungskräften stehen i.d.R. die persönlichen Belange und Belastungen im Vordergrund (Führungsverantwortung, „Druck von oben“ etc.). Der Fokus liegt hier vermehrt auf dem Coaching, dem Herausarbeiten von Führungsqualitäten und deren Stärkung.

 

Welchen Rat geben Sie Ihren Kunden?

 

Nehmen Sie Ihre Intuition ernst! Sie stimmt in der Regel! Niemand kennt Ihr Unternehmen so gut wie Sie. Verschaffen Sie sich Klarheit – nehmen Sie sich die Zeit dafür, suchen Sie sich ggf. Unterstützung. Ungewissheit ist ein ernstzunehmender, schwelender Stressfaktor. Nehmen Sie länger geplante Veränderungen mutig in Angriff. Diese können betrieblicher, aber auch persönlicher Natur sein.

Nehmen Sie die Büroarbeit wichtig und erledigen Sie diese zeitnah, denn „das Geld wird auch am Schreibtisch verdient“. Büroarbeit ist ein wichtiger Bestandteil der Selbstständigkeit und sollte nicht „nebenbei“ nach Feierabend oder am Wochenende erledigt werden.

Sprechen Sie mit Menschen, denen Sie vertrauen. Nehmen Sie ihre eigenen Bedürfnisse und körperliche Signale ernst.

Für Selbstständige gilt: Nur wenn es der Firma gut geht, kann es auch dem Unternehmenden gut gehen. Aber: Eine erfolgreiche Selbstständigkeit heißt noch lange nicht, dass sich persönliche Zufriedenheit einstellt. Hier braucht es für einige ein bewusstes Umdenken und Handeln.

 

Nähere Info und Kontakt: www.mehrwerte-beratung.de

 


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