„Versorgung örtlich betäubt“
Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, das im November 2022 im Bundestag verabschiedet wurde, wird eine Ausgabenobergrenze (Budgetierung) bei zahnärztlichen Leistungen wieder eingeführt. In den letzten zwei budgetfreien Jahren bekamen die Zahnärzte und Zahnärztinnen in Deutschland 100 Prozent der Kosten ihrer erbrachten Leistungen von den Krankenkassen erstattet. 2023 und 2024 sind die Beträge, die für einen Behandlungsfall erstattet werden - die sogenannten Fallwerte - wieder gedeckelt.
„Sparen auf Kosten der Gesundheit“
Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) stellt sich entschieden gegen die Kürzungen und hat mit den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen der Länder, weiteren Kammern und Verbänden die Kampagne „Zähne zeigen“ ins Leben gerufen. Am 13. September kamen zahlreiche Ärztinnen und Praxis-Teams in Hannover zu einer Protestaktion zusammen.
Vor dem Hintergrund der Inflation und Energiekrise sei es unverantwortlich, den Zahnarztpraxen, die nicht Verursacher der wirtschaftlichen Schieflage der Krankenkassen seien, die MIttel zu kürzen, so die Kritik der Verbände. „Die kurzsichtige Budgetierung muss schnellstmöglich zurückgenommen werden“, fordert etwa Martin Hendges, Vorsitzender der KZBV. „Das ist sparen auf Kosten der Gesundheit der Patientinnen und Patienten.“
Bis zu 40.000 Euro weniger
„Hochrechnungen haben ergeben, dass die Finanzmittel, die die Krankenkassen aufgrund der Budgetierung zur Verfügung stellen, nicht ausreichen werden, um die erbrachten Leistungen vollständig zu bezahlen“, erklärt Dr. Michael Loewener, Pressesprecher der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KZVN). Ist das Budget - beziehungweise der jeweilige Fallwert - überschritten, arbeiten die Zahnärztinnen auf eigene Kosten. Die KZVN geht davon aus, das rund 40 Prozent aller Zahnarztpraxen mit Einbußen von bis zu 40.000 Euro pro Jahr rechnen müssen.
Wie viel Geld wirklich fehlen wird, könne man erst am Ende eines Quartals feststellen, sagt Dr. Nicolas Laack, der eine Praxis in Lilienthal führt. Er könne den Kostendruck bei den Gesetzlichen Krankenkassen nachvollziehen, sehe die Budgetierung aber trotzdem kritisch. „Wir sollen und wollen ja eigentlich Patienten behandeln und nicht permanent mit dem Taschenrechner rumlaufen.“
Neue Behandlungsstrecke in Gefahr
Besonders betroffen sei die neueRichtlinie zur Parodontitis-Therapie, die erst 2021 eingeführt wurde. Das Präventions- und Therapiekonzept gilt als Durchbruch in der zahnärztlichen Versorgung. An Parodontitis - unbehandelt die häufigste Ursache von Zahnverlust - leiden in Deutschland bis zu 30 Millionen Menschen und die Volkskrankheit wird wissenschaftlich mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes in Zusammenhang gebracht. Sie stellt zudem ein Risiko für Schwangere, demenzielle Erkrankungen und schwere Verläufe bei Infektionen mit dem Coronavirus dar.
„Die Parodontitisstrecke ist nun wieder in Gefahr“, sagt Dr. Laack. Die Behandlung dauert im Schnitt drei Jahre, verursacht hohe Kosten und befindet sich noch in der Einführungsphase. „Es ist keinem Zahnarzt aus betriebswirtschaftlicher Sicht zuzumuten, diese aufwendige Behandlungsform ohne Kostendeckung zu erbringen“, sagt Michael Loewener. Auch mit Blick auf die Stabilität der Gesetzlichen Krankenversicherung sei die Kürzung alles andere als sinnvoll - schließlich sei mit hohen Folgekosten zu rechnen, wenn an der Prävention gespart wird.
Kaum noch Nachfolger
„Gut laufende Praxen sind sicherlich noch nicht gefährdet. Praxen, die aber bis dato schon auf Kante genäht waren, gibt die erneute Budgetierung den Rest“, sagt Nicolas Laack. „Überall steigen die Kosten und das Ministerium kürzt durch die Wiedereinführung des Budgets die Einnahmen. Wie soll das unternehmerisch gutgehen?“, fragt sich der Lilienthaler Zahnarzt. „Bei einer Inflation von sieben Prozent wünscht das Personal verständlicherweise mehr Gehalt und Energie sowie Material steigen ebenso im Preis“, so Laack weiter.
Nicht zuletzt erschwere die Budgetierung die Übernahme oder Neugründung von Praxen.„Bereits heute können Praxen, deren Inhaber altersbedingt ausscheiden, kaum noch Nachfolger finden“, weiß Michael Loewener. Und das sind einige: In den kommenden zehn Jahren wird voraussichtlich etwa ein Drittel der Zahnärztinnen und Zahnärzte in den Ruhestand gehen. Das GKV-Finanzstabiliserungsgesetz sei also schlecht für die Versorgungslage - und auch für die zukünftigen Ruheständler:innen: „Das Lebenswerk einer funktionierenden Praxis als Pfeiler der eigenen Altersversorgung wurde durch die Politik der letzten Jahrzehnte in vielen Fällen ruiniert“, resümiert Nicolas Laack.