Viel Moor, wenig Geld
Landkreis. Die neuen Pläne der Bundesregierung bauen im Wesentlichen auf die gleichnamige Strategie aus dem Jahr 2007 auf - deren Ziele bisher nicht erreicht wurden. Ihren Ursprung hat die Überlegung im Übereinkommen über die biologische Vielfalt (englisch: Convention on Biological Diversity, CBD) - einem internationalen Umweltabkommen aus dem Jahr 1992. In die neue Fassung, die im Dezember vom Kabinett auf den Weg gebracht wurde, flossen nun auch Ziele des Biodiversitätsrahmens von Kunming-Montreal und der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 ein.
Die NBS umfasst verschiedenste Themen im Bereich der Biodiversität, insgesamt werden 64 Ziele in 21 Handlungsfeldern benannt. Darunter sind Stichworte wie Natur- und Artenschutz, Stadtnatur, Klimaerwärmung, Ausbau von Erneuerbaren Energien oder Gesundheit zu finden. Ein erster Aktionsplan enthält rund 250 Maßnahmen, die von 2024 bis 2027 umgesetzt werden sollen. Ein zweiter Aktionsplan soll darauf aufbauen.
Die Ziele sind nicht neu
Dr. Jutta Kemmer betont, dass erste Erfolge bis 2027 zwar realistisch seien, jedoch häufig nur punktuelle Fortschritte darstellen könnten. „Die Ziele der Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt 2030 sind ja nicht neu, die Notwendigkeit zum Handeln ist seit Jahrzehnten bekannt und es gibt schon lange zahlreiche Förderprogramme und auch Vorgängerversionen der Nationalen Biodiversitätsstrategie, mit denen genau diese Ziele verfolgt werden.“ Bereits in der bisherigen Fassung der Strategie von 2007 sei beispielsweise eines der Ziele gewesen, intensiv genutzte Niedermoore bis 2020 zu extensivieren und nur noch als Grünland zu nutzen. „Schauen wir uns die Entwicklung in unserer Region unter diesem Aspekt an, so ist gerade in diesem Bereich praktisch nichts passiert und wird auch bis 2027 nichts passieren“, sagt Dr. Kemmer.
Besonders kritisch sieht sie auch die Herausforderungen in der Landwirtschaft, die häufig auf intensiv genutzten Flächen basiert. „Die Landwirtschaft wird nicht auf ihre intensiv genutzten Flächen verzichten, solange den Flächeneigentümern und Bewirtschaftern kein attraktives Alternativangebot unterbreitet wird“, so Kemmer. Sabrina Hüpperling ergänzt, dass für eine Umstellung auf nachhaltigere Bewirtschaftungsformen wie Paludikultur nicht nur technologische Innovationen, sondern auch neue Vermarktungswege und Absatzmärkte notwendig seien. „Die GmbH Aufwuchsverwertung Teufelsmoor ist ein konkretes Beispiel aus der Region“ - der Weg zu solchen Modellen sei jedoch lang und steinig.
Wo es konkret wird, gibt es Widerstand
„Der Landkreis Osterholz hat enorme Potenziale, Biodiversität mit Klimaschutz und Klimawandelanpassung durch die Wiederherstellung von widerstandsfähigen Auen- und Moorökosystemen zu vereinen“, erklärt Jutta Kemmer. Die Strategie benenne diese Synergien auch. Ein Problem sei aber der lokale Widerstand gegen konkrete Maßnahmen. Sabrina Hüpperling sagt: „Solange die Ziele abstrakt benannt werden, werden sie von den meisten befürwortet. Je konkreter die Maßnahmen benannt und lokalisiert werden, desto mehr wächst der Widerstand vor Ort.“ So bleibe es in den Mooren oft bei Planungen und finanzieller Unterstützung bestehender Projekte. Es mangele an Flächen: „Nahezu alle Projekte erfolgen auf öffentlichen Flächen, weil die privaten Eigentümer kein Interesse daran haben, ihre landwirtschaftlich genutzten Flächen zu vernässen.“
Ein Beispiel sei das St. Jürgensland, wo intensive Landwirtschaft nur durch umfangreiche Entwässerungssysteme möglich sei. Die Wiedervernässung solcher Flächen könne ein entscheidender Schritt für den Arten- und Klimaschutz sein, doch ohne die Akzeptanz der Landwirte und Kommunen bleibe dies unrealistisch. Denn auch letztere verfolgten andere Ziele, als die Biodiversitätsstrategie: „Obwohl die Landkreisverwaltung diese Flächen aus naturschutzfachlichen Gründen sichern möchte, propagieren die Gemeinden Lilienthal und Ritterhude die Etablierung von Windkraftanlagen in diesem Gebiet.“
Freiwillig funktioniert nicht
An den Erfolg von freiwilligen Maßnahmen, wie die aktuelle Strategie sie vorsieht, glauben Kemmer und Hüpperling nicht. Die fehlenden Sanktionsmechanismen stellen aus Sicht der Expertinnen eine zentrale Schwäche der Strategie dar. „Da haben wir ja inzwischen einige Erfahrung sammeln müssen. Zum Beispiel hat die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie deutlich gezeigt, dass die notwendigen Maßnahmen auf freiwilliger Basis kaum realisiert werden“, sagt Hüpperling.
Auch die mangelhafte Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie habe gezeigt, dass freiwillige Maßnahmen allein nicht genügten. Deutschland sei in diesem Zusammenhang bereits vom Europäischen Gerichtshof verurteilt worden. „Rechtliche Vorgaben und die konsequente Sanktionierung ihrer Missachtung sind unserer Meinung nach deswegen erforderlich, auch wenn sie sehr unbeliebt sind. Aber genauso wichtig sind der finanzielle Ausgleich und die Planungssicherheit für die betroffenen Bewirtschafter und Eigentümer“, ergänzt Dr. Kemmer.
Keine Sicherheit für Landwirte
Die finanziellen Mittel für den Moorschutz seien laut Hüpperling derzeit so umfangreich wie nie zuvor. Dennoch bleibe die Verfügbarkeit geeigneter Flächen das zentrale Hindernis. „Für unsere Region sind Wiedervernässungs- und Grünlandextensivierungsmaßnahmen prioritär, sowohl unter dem Aspekt der Förderung der Biodiversität als auch unter den Gesichtspunkten des Moor- und Klimaschutzes.“ Dr. Kemmer weist darauf hin, dass Niedersachsen und insbesondere der Landkreis Osterholz aufgrund des hohen Mooranteils besonders gefordert seien. Jährlich müssten knapp 20.000 Hektar organischer Böden wiedervernässt werden, um die nationalen Klimaziele zu erreichen.
Die Finanzierung dieser Maßnahmen übersteige jedoch die Kapazitäten des Landkreises Osterholz. Neben den Kosten für hydrologische Gutachten und Genehmigungsverfahren sei auch das betriebswirtschaftliche Risiko für die Landwirte erheblich. Letztere hätten keine Planungssicherheit, wenn sie sich für eine Wiedervernässung entschieden: „Wie sieht ihre Situation in zehn Jahren aus? Dann sind die Flächen nass und die Förderung läuft aus – was dann?“
Regionale Verantwortung
Die Kommunen und Landkreise spielten eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung der Biodiversitätsstrategie. „Die Vernässung landwirtschaftlich genutzter Moore ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auch von den politischen Gremien vor Ort mehrheitlich unterstützt werden muss. Es gilt, alle an einen Tisch zu holen, um alternative Nutzungsmöglichkeiten, Wertschöpfungsketten und Absatzmärkte zu entwickeln.“ Die Kommunen seien häufig mit einem Widerspruch konfrontiert: Alle befürworteten den Schutz von Biodiversität, aber konkrete Maßnahmen finden keine politischen Mehrheiten vor Ort.
Hüpperling lobt den 2023 veranstalteten Moorgipfel in Osterholz-Scharmbeck als wichtigen Auftakt. Nun müssten konkrete Projekte folgen, die Synergien zwischen Biodiversitätsschutz, Klimaanpassung und wirtschaftlicher Entwicklung schaffen. Kooperationen wie die „Moorregion Elbe Weser“ sollen Kompetenzen bündeln und Akzeptanz vor Ort steigern.
Dr. Kemmer fordert darüber hinaus verbindliche Flächenziele auf Kreisebene: „Dies würde die Diskussionen über das Ob und Wie der Maßnahmen abkürzen und die Umsetzung bundesweit beschleunigen.“ Kommunen könnten sich aktiv am Ausgestaltungsprozess der Strategie beteiligen, indem sie spezifische Herausforderungen und Bedarfe einbringen. Ziel sei es, den Schutz der Biodiversität als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verankern. „Der Schutz von Biodiversität ist kein nice-to-have, sondern die Grundlage für das Wohlergehen aller Menschen, und eine lebenswichtige Initiative und Anstrengung.“