Luisa Mersmann

Wie viele Leben wird es kosten?

In Deutschland gilt sowohl die EU-Gewaltschutzrichtlinie als auch die Istanbul Konvention, um Frauen vor Gewalt zu schützen. Doch die Zahlen der dokumentierten Fälle steigen weiter an. Deshalb fordern mehrere Verbände von der Bundesregierung sofortiges Handeln.

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Alle vier Minuten - so oft erlebt eine Frau in Deutschland Gewalt durch ihren (Ex-)Partner. Alle zwei bis drei Tage stirbt eine Frau durch diese Gewalt. Und die Zahl der Opfer von häuslicher Gewalt steigt weiter an.

 

Bündnis drängt auf schnellen Beschluss

 

Ende September haben über 50 Prominente und Vertreter:innen von Verbänden, beispielsweise Terre des Femmes, Katholischer Deutscher Frauenbund e. V. und die Bundesinitiative FrauenFuerGewaltschutz, einen offenen Brief an die Bundesregierung geschickt. Darin fordern sie Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundesfinanzminister Christian Lindner, Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Bundesinnenministerin Nancy Faeser dazu auf, das Gewalthilfegesetz zum Schutz von Frauen vor Gewalt noch in dieser Legislaturperiode zu beschließen.

Konkret wird gefordert, „dass der im Koalitionsvertrag verankerte Rechtsanspruch auf Hilfe bei Gewalt, jetzt Gewalthilfegesetz genannt, mit dem versprochenen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern sofort auf den Weg gebracht und mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet wird.“ Zudem sollen Präventionsangebote, Täterarbeit und Schutzpläne ausgebaut werden. Um Näherungsverbote besser überprüfen zu können, fordern die Verbände die bundesweite Einführung der elektronischen Fußfessel.

Zu guter Letzt wollen sie „die sofortige und vollständige Umsetzung der EU-Gewaltschutzrichtlinie und der Istanbul Konvention, die in Deutschland geltendes Recht ist“.

Die EU-Gewaltschutzrichtlinie wurde im Februar dieses Jahres innerhalb der Europäischen Union beschlossen. Unter anderem werden damit körperliche Gewalt sowie psychische, wirtschaftliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen unter Strafe gestellt.

Die Istanbul Konvention verpflichtet die Mitgliedstaaten gegen alle Formen von Gewalt vorzugehen. Damit sollen Frauen besser geschützt und Gewalt gegen Frauen sowie häusliche Gewalt verhindert werden. Zudem sollen die Täter strafrechtlich verfolgt werden. Die Bundesregierung hat diese Konvention 2011 unterschrieben und 2018 ratifiziert, doch bislang scheinen keine deutlichen Veränderungen in Sicht.

 

Fokus auf Täterwegweisung

 

Der Landkreis Osterholz sieht in den Forderungen zwar eine sinnvolle Ergänzung, jedoch sollte der „Blick nach hiesiger Einschätzung nicht auf eine stationäre Unterbringung von Gewaltopfern“ gelegt werden, da „deren Opferrolle dadurch häufig noch manifestiert würde“, wie die Sprecherin des Landkreises, Sabine Schäfer, mitteilt. Es gäbe im Landkreis Osterholz genügen Kapazitäten in der Beratungsstelle, weshalb der Fokus laut Schäfer vermehrt auf der Täterwegweisung liegen sollte. „Die Arbeit mit Tätern häuslicher Gewalt könnte einen Beitrag zum Schutz für Opfer oder zukünftige Opfer von Partnerschaftsgewalt leisten“, sagt sie.

 

Zahlen und Fakten

 

Bereits im vergangenen Jahr waren 256.276 Menschen in Deutschland von häuslicher Gewalt betroffen, das sind 6,5 Prozent mehr als 2022. „Die erneut deutlich gestiegenen Zahlen zur häuslichen Gewalt zeigen das erschreckende Ausmaß einer traurigen Realität“, sagt Bundesfamilienministerin Lisa Paus erschrocken. Die Vizepräsidentin des Bundeskriminalamtes (BKA), Martina Link, betont jedoch, dass viele der Taten aus Angst gar nicht zur Anzeige gebracht werden und die Dunkelziffer vermutlich deutlich höher sei.

In den notierten Fällen waren etwa 70 Prozent der Opfer weiblich. Besonders bei den schwereren Delikten wie Mord oder Totschlag seien die Opfer überwiegend Frauen gewesen - drei Viertel der Täter:innen waren männlich.

Von allen Betroffenen haben zwei Drittel, also 168.000 Fälle, die Gewalt innerhalb einer Partnerschaft erlebt. Meistens wurde die Gewalt durch einfache Körperverletzung ausgeübt. Dahinter kommen Bedrohung, Stalking, Nötigung und gefährliche Körperverletzung.

„Jeden Tag werden in Deutschland über 700 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt“, erklärt Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Um Frauen besser vor Gewalt schützen zu können, seien laut ihr ein Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung, mehr Plätze in Frauenhäusern und mehr Hilfsangebote nötig. Außerdem betont sie, „dass wir hinschauen, eingreifen und Gewalt keineswegs akzeptieren.“

 

Femizide werden nicht als solche erkannt

 

Die wohl schlimmste Art der häuslichen Gewalt an Frauen ist der Femizid. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Femizid als die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist. Es handelt sich dabei also um eine Form von geschlechtsspezifischer Gewalt. Die Bundesregierung hat bislang jedoch keine Definition anerkannt. Die Linke hat bereits 2020 gefordert, das Deutschland Femizide untersucht, benennt und verhindert, doch der Vorstoß blieb erfolglos.

Und genau da liegt das Problem: In Deutschland werden Femizide häufig als „Beziehungsdrama“ oder „Trennungstaten“ betitelt, was eine Verharmlosung des Geschehenen darstellt. Nach Rechtssprechung gelten somit mildernde Umstände, wenn die Trennung beispielsweise vom Opfer ausging und sich der Täter in seinem „Besitz“ beraubt sieht.

Aufgrund der Nichtanerkennung von Femiziden als solche, ist es auch schwierig, die genaue Datenlage zu erforschen. Daten zu geschlechtsspezifischen Tötungen außerhalb von Partnerschaften werden vom BKA nicht erfasst.

Schon lange fordern Vereine, Organisationen und Verbände, dass Femizide in Deutschland als das wahrgenommen werden sollen, was sie sind, nämlich die extremste Form geschlechtsspezifischer Gewalt.


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