Patrick Viol

Anti-Terror-Integration gegen Islamismus

Die Bundesregierung hat ein Sicherheitspaket gegen den erstarkenden Islamismus des Islamischen Staates zusammengeschnürt. Wie wirksam es ist und woran es scheitert, das beurteilt Patrick Viol in seinem ausführlichen Kommentar

 

Die Flagge des Islamischen Staates, der sich über die Diskussion über Messerverbote in Deutschland lustig macht.

Die Flagge des Islamischen Staates, der sich über die Diskussion über Messerverbote in Deutschland lustig macht.

Bild: Wiki commons

Der Islamische Staat wird sehr wahrscheinlich gegen die Bundesregierung Recht behalten: Das Problem, vor welches der Terror verbreitende Islamismus des IS die deutsche Regierung stellt, „wird sich nicht auf das Messer beschränken, denn was ist mit einem Muslim, der die ‚Geburtstagstorte‘ mit Sprengstoff präparieren kann! Seid ihr auch darauf vorbereitet, sie zu verbieten oder ihre Größe zu reduzieren?“
Das schreibt der IS am 29. August in seinen wöchentlichen Newsletter al-Naba. Am selben Tag also, an dem Bundesinnenministerin Nancy Faeser das sogenannte Sicherheitspaket der Ampel vorstellt, das die Regierung in Reaktion auf den islamistischen Anschlag in Solingen zusammengestellt hat. Nachdem der Islamist und eigentlich ausreisepflichtige Syrer Issa Al H. auf einem Volksfest drei Menschen mit einem Messer getötet und weitere schwer verletzt hatte, hat die Bundesregierung sich auf Verschärfungen im Waffenrecht und in der Migrations- und Asylpolitik verständigt. Unter anderem hat sich das Kabinett auf Messerverbote, Leistungskürzungen für ausreisepflichtige Geflüchtete sowie effizientere und schnellere Abschiebungen geeinigt, um solche Taten wie die von Issa Al H. künftig zu verhindern.
Der IS, der sich zur Tat in Solingen bekennt - sie sei „Rache für die Muslime in Palästina und überall“ -, zeigt sich vom Vorstoß der Ampel nicht beeindruckt. Die Diskussionen über Messerverbote bewiesen lediglich die Unfähigkeit der „Ungläubigen“, die Taten der Soldaten des IS verhindern zu können. So heißt es im Newsletter, den der IS-Kenner Peter R. Neumann mit seinem Kollegen Aymenn al-Tamimi für seinen Blog „Die Terrorlage“ übersetzt hat, weiter, dass die Bundesregierung „die Hoffnung aufgegeben“ habe, die „Angriffe verhindern zu können, und sich daher entschieden [habe], sich auf deren Regulierung zu beschränken!“
Und in der Tat: So wenig man einer mörderischen Terrororganisation auch nur in einem Punkt Recht geben will, haftet an der Verschärfung des Waffenrechts etwas arg Lächerliches angesichts eines international agierenden und den Tod zelebrierenden Feindes der westlichen Welt, der seine Anhänger dazu aufruft, wahllos und suizidal Menschen mit LKW, Autos, Messern oder handelsüblichen Hämmern zu töten. „Sei, oh Mudschahid, der ‘Mann des Hammers’, der seine Opfer zerstört und ihre Schädel zerschmettert, ohne eine Spur zu hinterlassen, die zu ihm führt - nicht aus Sorge um das eigene Leben, sondern damit man die Operation immer wieder wiederholen kann, bis man mit ihrem Blut gesättigt ist”, lauten entsprechend die abschließenden Worte des Newsletters.

Gefährliche Abschiebungen nach Syrien
Die Gleichzeitigkeit von terroristischem Selbstbewusstsein und politischer Naivität lässt unweigerlich daran zweifeln, dass die Bundesregierung die islamistische Bedrohung ausreichend ernst nimmt und ihren Angreifer umfassend kennt. Den Zweifel zerstreut auch nicht ihre Verschärfung der Abschiebe- und Grenzpolitik.
Zum einen: Glaubt die Bundesregierung wirklich, dass Strafabschiebungen nach Afghanistan und Syrien einen abschreckenden Effekt haben? Auf islamistische Attentäter, denen der Dschihad mehr bedeutet als ihr Leben? Darüber hinaus: Islamistische Gefährder an Assads Regime zu übergeben, könnte den Kampf der kurdischen Selbstverwaltung in Nordsyrien gegen IS-Zellen schwächen. Îlham Ehmed, Co-Vorsitzende des Außenministeriums der kurdischen De-facto-Regierung, erinnert in einem ausführlichen Interview mit der „Zeit“ daran, dass der Diktator Assad im Bürgerkrieg tausende Islamisten freiließ, die dann für den IS kämpften oder von der Türkei für ihren Kampf gegen die Kurden mobilisiert wurden. Das dürfe sich nicht wiederholen, sei aber durchaus möglich, wenn es sich für Assad, wie 2011 und 2012, taktisch lohnt. Damals ging es darum, die Aufstände gegen Assad zu diskreditieren. Die Freilassungen hätten den IS mit aufgebaut, so der Politikwissenschaftler Hakim Khatib vom Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam. Aktuell will sich der türkische Präsident Erdogan Assad wieder annähern. Sollte sich im Zuge der Umbrüche im Nahen Osten für Assad irgendwann eine Neuauflage des einstmals engen türkisch-syrischen Verhältnisses mehr lohnen als ein Pakt mit den Kurden, könnte erneut eine Situation wie 2011/12 eintreten. Nicht zuletzt deshalb, weil Erdogan die Kurden im Norden militärisch bekämpft und Hilfe beim alten neuen Verbündeten einfordern könnte. Islamistische Gefährder aus Assads Gefängnissen könnten so eine Hilfe sein. Sollte Erdoan schließlich die Kurden besiegen, kämen wahrscheinlich weitere tausende IS-Kämpfer aus ihren Gefängnissen frei und würden ihren Krieg fortsetzen. Das wiederum würde zu weiteren Fluchtbewegungen führen.

Das verschwiegene Problem
Zum anderen scheint die Bundesregierung bei ihren Grenzschließungs-und Zurückweisungsplänen vollkommen zu übersehen, dass islamistische Attentäter selten als solche über die Grenze kommen. Wenige sind wie Anis Amri, der Attentäter vom Breitscheidplatz, bereits bei ihrer Ankunft in Deutschland radikal. Das gilt laut Peter R. Neumann auch für viele der Auslandskämpfer aus Deutschland, die sich dem Islamischen Staat anschlossen, um dort zu leben und/oder für ihn zu kämpfen. Manche von ihnen waren nicht einmal religiös bei ihrer Ankunft, radikalisierten sich dann aber in von der Gesellschaft abgeschirmten salafistischen Gemeinden. In Bremen gab es zum Beispiel den Familien- und Kulturverein, dem sogar Pierre Vogel als Abtrünniger galt und dem alle Bremer Auslandskämpfer entstammten. Mittlerweile läuft die Radikalisierung vor allem über TikTok, wie Neumann ausführt. Er spricht in dem Zusammenhang auch von TikTok-Dschihadisten. Ansprechbar für die IS-Propaganda seien vor allem junge Männer ohne Schulabschluss und Perspektive, aber stets mit muslimischen Background.
Darüber - über staatlich wie migrantisch verursachte Integrationsprobleme also - wird aber in der ganzen Sicherheitsdebatte bisher kaum gesprochen. Dabei bilden sie für den IS ein enormes Mobilisierungspotenzial. Nimmt man hinzu, dass die Regierung den Expertenkreis Politischer Islamismus nicht wiederaufnehmen will und im neuen Haushalt die Mittel für Integration um die Hälfte gekürzt und Stellen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgebaut werden sollen, dann kann man von einem berechtigten Zweifel daran sprechen, dass die Bundesregierung die islamistische Bedrohung ernst nimmt.
Vielmehr ist anzunehmen, dass sie mit geschlossenen Grenzen und Abschieberhetorik lediglich Wählerstimmen zurückholen will, die sie an die AfD verloren hat. Dabei wäre gegen den IS und den politischen Islam umfangreich vorzugehen. Denn: Westeuropa steht vor einer neuen Terrorwelle. So formuliert es Neumann in seinem neuen Buch „Die Rückkehr des Terrors“. Und die Vermehrung der Anschläge seit Oktober 2023 geben ihm Recht. Islamisten nutzen aktuell den Gaza-Krieg zur Mobilisierung. Umso wichtiger ist es, radikal Mobilisierungsmöglichkeiten abzubauen. Wer nur die Grenzen schließt, die Polizei stärkt und Messer verbietet, schließt nur die deutsche Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund mit potenziellen Attentätern ein.

Anti-Terror-Integration
Es müsste, darauf drängen Islam- und Integrationsexperten wie Susanne Schröter und Ahmad Mansour seit Jahren, eine radikale Integrationsoffensive gestartet werden. Radikal heißt hier, dass es mit ein paar Vielfaltsfesten und afghanisch kochen in sogenannten Problemstadtteilen nicht getan ist. Es müsste um eine Anti-Terror-Integration gehen, die - wie öffentliche Bildung es im Allgemeinen sollte - auf nichts weniger zielt, als auf die Herausbildung eines kritischen Bewusstseins. Das heißt, dass Integration dabei zu helfen hat, dass muslimische Migranten ihre meistens schlechte Lebenssituation im Westen mit den Begriffen der Aufklärung verstehen können, anstatt dass sie sie nur psychologisch mit den in ihrer Kultur virulenten, zu Hass und Ressentiments führenden Begriffen des politischen Islams zu bewältigen versuchen. Denn dieser Bewältigungsversuch ist die Quelle der Gewalt, da er die Realität verklärt, anstatt sie zu begreifen, was das unbewusste Gefühl des Scheiterns und damit die Aggression nur vergrößert.
Es geht also darum, Reflexion ermöglichende Distanz zur eigenen Kultur aufzubauen, um sie kritisch zu hinterfragen und Wege in die Regression abzuschneiden.
Denn wie sich ein Mensch in krisenhaften Zeiten radikalisiert, hängt stark von der kulturellen Prägung seines (Un-)Bewusstseins ab. Und die islamische Prägung stellt vor dem internationalen islamischen Terrorismus eine Gefahrenquelle dar. Wer gleich reflexhaft auf den Rechtsextremismus hinweisen will, dem sei gesagt: Die Qualität des mit Hundertausenden Toten Kriege führenden Islamismus ist eine andere. Aber: Ohnmacht muss einen muslimischen Migranten nicht zum Islamisten machen, genauso wenig wie sie einen Thüringer zum Nazi machen muss. Mit Abstand zur kulturellen Identität können beide auch zur Einsicht gelangen, eine freie Gesellschaft für alle, wäre die beste Option. Einfach gesagt: Die Erkenntnisse kritischer Sozialpsychologie müssen bei der Integrationsarbeit also zum Tragen kommen. Das heißt praktisch: Weg von Multikulti-Karnevalsfesten hin zu Integrationskursen, in denen kritische Auseinandersetzungen mit muslimischen Migranten über Islam, Identität, Geschichte und Gesellschaft, über Antisemitismus, Antizionismus, Rassismus und Feminismus geführt werden. Denn sowohl verzerrte Geschichtsbilder, die die Muslime stets als bloßes Opfer der Geschichte präsentieren, als auch Juden-, Israel- und Frauenhass bilden Mobilisierungspotenzial.
Hierfür müssten Integrations-und Sprachkurse nicht ab- sondern massiv ausgebaut werden. Es kann nicht sein, dass Integrationswillige jahrelang auf einen Sprachkurs warten, wie die GEW kritisiert. Auch müssten Arbeitserlaubnisse vereinfacht und schneller erteilt werden. Autonomieerfahrung - zentraler Baustein kritischen Denkens - hängt in dieser Gesellschaft nun einmal an Geld und Arbeit.
Anti-Terror-Integration heißt aber auch ganz praktisch, dass in Schulen nicht zusätzlich Islamunterricht von in Deutschland ausgebildeten Imanen, sondern gar kein Religionsunterricht mehr stattfindet. Stattdessen: Werte und Normen für alle. Außerdem gehören Kopftücher für kleine Mädchen verboten. Ebenso muss der Einfluss etwa der Türkei auf hiesige Moscheen gekappt und die Zusammenarbeit mit „Islamismus-offenen“ Islamverbänden endlich beendet wird.
Mit all dem nimmt man Menschen nicht ihre Religion. Man spricht sie als autonome Wesen - als Menschen an - und hilft ihnen lediglich dabei, den Panzer kultureller Identität zu lockern und Religion ganz liberal als das zu akzeptieren, was sie ist: eine Privatschrulle, für die kein Mensch sterben muss.
All das gelingt natürlich nur mit den nötigen Ressourcen. Und da die begrenzt sind, gibt es auch Grenzen für die Integrationsarbeit, sprich Grenzen für die Migration. Eine liberale Gesellschaft aber, die sich als solche gegen den Islamismus verteidigen will, sollte zum einen die Ressourcen für Integrationsarbeit nicht leichtfertig einschränken. Zum anderen sollte sie die Grenzen und Regulation der Migration auf Grundlage der Menschenrechte und nicht anhand von rechten Wahlerfolgen ausloten. Wer aber nur - wie fast alle Parteien zur Freude von Nazis - die Grenzen für Migranten dichtmachen will und Afghanistan und Syrien zu sicheren Herkunftsländern erklärt, von umfassender Integration hingegen nicht spricht, beweist, dass ihm weder an der Menschenwürde von Schutzsuchenden vor dem Islamismus noch an dessen effektiver Bekämpfung gelegen ist.


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