Sarah Lenk

Sarahs (Weih)Nacht(s)geschichte: Der Zauber des Aufgebens

Eine Weihnachtsbetrachtung durch die philosophische Brille, mit dunklem Witz und Kritik - unsere Kolumne von Sarah Lenk.

Bild: Wiki commons

22:36 in irgendeinem Home-Offfice. Eine Kolumne muss geschrieben werden. Was Weihnachtliches, fürs Herz oder zum besinnlichen Nachdenken. Letztes Jahr gab‘s Kartoffelsalat, davor Weihnachten in der Bar. Und nach ein paar Stunden stellt sich das erst nur Vermutete als Definitives heraus: Mir wollen keine Themen einfallen. Es lässt sich nichts neues über Weihnachten schreiben, alles verkommt zum hundert Mal beschriebenen Klischee, das haben der Anzeiger und seine werten Leser nicht verdient.

Und noch wichtiger, mir fällt auf: Das habe auch ich nicht verdient. Manchmal ist es richtig, einfach aufzugeben. Einfach eine Nachricht an den Herrn Chefredakteur zu schreiben, die sagt dass man dieses Mal nicht liefert.

Es fühlt sich verboten an, aber auch befreiend. Ein klein bisschen das Gefühl von Schuleschwänzen. Es gibt kaum ein größeres Gefühl von Freiheit, als an einem Sommertag sich auf dem Fahrrad den Wind um die Nase wehen zu lassen, auf dem Weg ins Freibad mit der besten Freundin. Und eben nicht im Englischunterricht zu sitzen. Im Aufgeben kann ein ähnlicher Zauber stecken. Ein kleines Moment von Freiheit und Selbstfürsorge.

Wir kennen alle diese Sprüche und Werte vom Durchhalten. Aushalten. Stillhalten. Hart arbeiten. Und wenn es nicht klappt - dann arbeitet man noch ein bisschen härter. Um sich durchzusetzen. Dass man nicht durch Aufgeben ganz an die Spitze kommt.

Die Spitze wovon eigentlich? Und wofür nochmal? Das sollte man sich fragen. Denn das Ziel sollte noch immer mindestens ein gutes Leben für sich selbst und die Liebsten sein. Und dazu passt Aufgeben viel besser als ewiges Durchhalten, als sich anzustrengen, sich selbst (und auch oft seine Liebsten) zu vernachlässigen. Fast alle der klassischen Weihnachtsfilme haben genau diese Botschaft. Und wir gucken sie jedes Jahr.

Es geht nicht darum, jeden Tag aufzugeben. Das ist Selbstaufgabe, nicht Freiheit. Es geht darum, die Schönheit im Akt des Aufgebens sichtbar zu machen. Wir betrachten es als bloß etwas Schlechtes. Als Versagen. Wertlosigkeit.

Dabei kann es doch genauso oft ein Moment von Befreiung, von Neuanfang oder von notwendigem Durchatmen und Pause sein. Ich glaube, wenn wir uns alle vornehmen, im nächsten Jahr hin und wieder mal Dinge, die uns quälen, aufzugeben - dann würde das Leben ein ganzes Stück besser werden.

Ich rede noch nicht mal über die großen Dinge, wie zum Beispiel missbräuchliche Beziehungen. Wir können viel kleiner anfangen. Zum Beispiel habe ich jahrelang versucht, ein Schlafzimmer zu haben. Denn ich habe zwei Zimmer - dann ist eins zum wohnen, eins zum schlafen. Weil man das so macht. Aber es funktionierte einfach nicht. Ständig hab ich auf dem Sofa geschlafen. Bis ich eines Tages einfach aufgeben habe. Das Bett steht nun im Wohnzimmer. Das andere Zimmer ist für Wäsche und Kram. Für alles, was sonst rumsteht und stört. Es ist Nähzimmer, Ankleide- und Abstellraum. Meine Lebensqualität ist immens gestiegen.

Und manchmal, manchmal führt das Aufgeben sogar zum Erreichen des Ziels. Wie mit dieser Kolumne, die ich zu Anfang so eifrig wie falsch als Aufgeben deklarierte und gerade dadurch erst in die Welt brachte. Klappt häufiger als man annimmt.

 


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