Buchempfehlung: Rechte Ego Shooter
Bei den Gedenkfeierlichkeiten in Yad Vashem in Israel im Januar bedauerte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier in Anbetracht der Ausbreitung von Hass, Hetze und rechtem Terror, nicht sagen zu können, die Deutschen hätten aus der Geschichte gelernt. Am Umgang deutscher Ermittlungsbehörden mit rechten Täter*innen hat sich in den letzten Jahren zudem eine Lernschwäche für den Rechtsextremismus der Gegenwart gezeigt. Ganze drei Jahre hat es zum Beispiel gedauert, bis der Anschlag am Münchener Olympia Einkaufszentrum als „politisch motivierte Gewaltkriminalität - rechts“ eingestuft wurde. Lange Zeit wurde behauptet, es handle sich um einen geistig verwirrten und sozial isolierten Einzeltäter.
Schwierigkeiten bereitete den Behörden augenscheinlich, den neuen Tätertypus des rechten Terrors zu begreifen. Dieser handelt zwar allein, aber er ist über das Internet international mit Gleichgesinnten vernetzt. Auch der Täter von Hanau entspricht diesem Typus. Und wieder scheinen sich die Behörden schwerzutun, die Tat richtig einzuordnen. Bisher liegt noch kein Abschlussbericht des BKA vor.
Rechte Ego Shooter
Im März erschien das Buch Rechte Ego Shooter. Von der virtuellen Hetze zum Livestream Attentat im Christoph Links Verlag. Herausgegeben haben es der „taz“-Redakteur Jean-Philipp Baeck und der Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit. Ihr Buch bringt Licht in das Dunkel des neuen rechten Tätertypus, in dem sich die Behörden in den letzten Jahren sträflich verirrt haben.
Die Autor*innen des Buches beschäftigen sich mit den gemeinsamen Aspekten und Bezügen der rechten Terroranschläge der jüngsten Zeit. Darüber gelingt es ihnen leicht verständlich und anschaulich, ein klares Bild des neuen rechten Täters zu zeichnen. Sie betrachten beispielsweise die Incel-Szene, in der sich frauenhassende Männer organisieren, die Radikalisierung im Netz, die Geschichte des rechten Terrors und die politische Ignoranz ihm gegenüber, das Zusammenspiel von Antisemitismus und Antifeminismus und die Gamer-Szene, zu der die Attentäter einen Bezug hatten.
Der neue Tätertypus
Bei dem neuen rechten Tätertypus handelt es sich den Autor*innen zufolge um Männer, die sich an ein „Publikum“ richten, das vor allem online „zu Hause“ ist, und die ihre Taten auf sogenannten Imageboards ankündigen und per Livestream zu übertragen versuchen. Adressiert werde eine Community aus Gleichgesinnten im Internet, die zugleich zur Nachahmung animiert werden soll. Es handle sich um Rechtsterroristen, die sich nicht in Kameradschaften vor Ort organisieren, sondern online.
Sehr treffend ist die Beschreibung dieses Täters durch die Herausgeber als Ego-Shooter: Zum einen beschreibt der Begriff rechte Ego-Shooter, dass diese Täter bei ihrer Tat alleine unterwegs, aber keine Einzeltäter sind, und dass sie ein Problem mit ihrem Selbstbewusstsein haben, wie es zum Bespiel der Text von Veronika Kracher darlegt. Zum anderen verweist die Beschreibung darauf, dass die neuen Täter einen starken Bezug zur Internet-Gaming-Kultur haben.
Agitation im Internet
Das Buch bietet über die Analyse des Tätertypus hinaus einen guten Einblick in die Formen der Agitation und die Strategien, mit welchen Neonazis im Netz versuchen, zu rekrutieren. Zudem wird gezeigt, wie beispielsweise gewisse Algorithmen auf Social Media Plattformen der Agitation und Radikalisierung in die Hände spielen. Oder wie sogenannte Dark Social Media Plattformen virtuelle Stammtische für Verschwörungstheoretiker*innen ermöglichen. Dabei ist angenehm, dass die Kritik an gewissen technischen digitalen Strukturen nicht zu einer abstrakten Verurteilung des Internets oder von Social Media an sich führt. Ebenso wenig wird Gaming verurteilt.
Nicht Videospiele sind ein Problem
Wird auch der Täter als Ego-Shooter beschrieben, so wird im Buch nicht die These vertreten, sogenannte „Killerspiele“ führten dazu, dass man im realen Leben Menschen töten wolle. Vielmehr erfährt diese Annahme richtigerweise ebenso eine fundierte Kritik. Computerspiele werden im Buch als Kulturprodukte ernst genommen. Spannend dabei ist beispielsweise die Analyse der Überschneidungen der Ästhetik von Ego-Shootern und rechten Attentaten. Ebenso die These, dass zwischen rechter Wahn- und virtueller Computerspielwelt Ähnlichkeiten existieren, wie im Beitrag von Jan-Paul Koopmann gezeigt wird.
Ressentiment entstehen offline
Mit Rechte Ego Shooter ist den Herausgebern und den Autor*innen ein so wichtiger wie erhellender Beitrag zur Debatte über den neuen rechten Terror gelungen, den man unbedingt lesen sollte. Zudem schafft der Band es, trotz seines Fokus auf die Beleuchtung der virtuellen Welt der Täter, zu vermitteln, dass die Ressentiments, die sie zur Tat antreiben, nicht ein Problem des Internets sind. Sie sind offline entstanden. Und hier, in der realen Welt, liege auch die Lösung für das Problem rechter Gewalt. In einer antifaschistischen Öffentlichkeit, die sich auch online engagiert.