Die schöne tote Frau
Mit dem Finale der dritten Staffel „Twin Peaks“ endete 2017 ein gutes Vierteljahrhundert nach Ausstrahlung der ersten beiden Staffeln eine der besten und faszninierendsten Serien der Fernsehgeschichte. Mit der dritten Staffel hatte der Regisseur David Lynch damals eine Art Quintessenz seines filmischen Werkes vorgelegt. Eine Quintessenz, die zum aktuellen Serienfernsehen in ihrer Rätselhaftigkeit genauso quer steht wie zum Genrekino. Anfang der Neunziger nahmen sich Lynch und sein Autor Mark Frost die Freiheit, den Zuschauer mit ambivalenten Figuren, falschen Fährten und losen Enden zu fordern. „X-Files“, „Lost“ und viele andere stehen auf den Schultern dieses Riesen.
Die Kluft ist gigantisch
Die Kluft zwischen „Twin Peaks“ und allem, was sonst so läuft, war und ist nach wie vor gigantisch. Egal wie korrupt und gewalttätig die Menschen etwa in „Breaking Bad“ oder „Game of Thrones“ agieren, das Geschehen bleibt immer nachvollziehbar: Jede Szene ergibt sich schlüssig aus der vorherigen, und die vorherige ergibt sich aus der Handlungslogik der Figuren, die in einer Welt unterwegs sind, deren Beschaffenheit geklärt ist. So was kommt von so was, und eben diese Transparenz sorgt für Behaglichkeit.
In „Twin Peaks“ dagegen ist die Irritation, die entsteht, wenn das Gewohnte konsequent außer Kraft gesetzt sind, von Anfang an spürbar. Nach wie vor. Figuren tauchen auf und spielen dann keine Rolle mehr. Viele der Szenen tragen zum Plotfortgang nichts bei, sondern könnten auch allein stehen, als Miniaturgrotesken oder, vor allem: als in sich geschlossene Albtraumsequenzen.
Die Ruhe, mit der hier Momente überzogen und zerdehnt werden und so zu einem eigenen, mitunter hochkomischen Timing finden, unterläuft die Forderung, eine Geschichte möglichst zielführend zu erzählen. Was wir sehen, funktioniert nach radikal eigenen, für Zuschauerin und Zuschauer undurchschaubaren Maßgaben.
Lynch baut alles so wie er es will
Sich darauf einzulassen lohnt sich: In „Twin Peaks“ sind mehr überraschende Momente zu finden, als andere Filmemacher in einem Leben zustande kriegen. Strukturbildend für „Twin Peaks“ sind zuallererst die Gehirnwindungen David Lynchs, in die wiederum die Geschichte des Genrekinos eingelassen sein muss. Sonst entstünden die ganzen Reibungen und Dissonanzen zwischen Bekanntem und Staunenswertem gar nicht erst. Kunst machen bedeutet bei Lynch in einem ersten Schritt Rückzug: „Ich wollte einfach nirgends auf der Welt sein. Nur noch in meiner“, erzählt Lynch in dem Dokumentarfilm „David Lynch: The Art Life“. Eine Welt, „in der ich alles genau so bauen konnte, wie ich es wollte“.
Was den Kern von „Twin Peaks“ allerdings ausmacht, ist alles andere als selbstbezüglich. Das Zentrum der Serie bildete von Beginn an das Bild der Leiche Laura Palmers‘. Im Motiv der schönen toten Frau scheint herrschende, aber tabuisierte Gewalt auf – als mythisches Bild, das das Schreckliche zeigt und es im selben Zuge durch die Fetischisierung des weiblichen Körpers auch schon wieder verbirgt. Den letzten Schritt, die Verdrängung der Gewalt, spart „Twin Peaks“ allerdings aus.
Rätselhafter Plot - grossartige Atmosphäre
All das trifft nicht nur auf die Serie zu, sondern auch auf den Twin-Peaks-Film „Fire Walk With Me“, der zuerst 1992 in die Kinos kam und nun noch einmal aufgeführt wird. „Fire Walk With Me“ erzählt die Vorgeschichte des Mordes an Laura Palmer, und eine grobe Kenntnis der Serie oder zumindest die Erinnerung an die Eckdaten der Geschichte ist wohl Voraussetzung dafür, mit dem wieder einmal rätselhaften Geschehen überhaupt etwas anfangen zu können (ein Grund dafür, vielleicht, dass der Film damals an den Kinokassen ziemlich unterging).
Wer das aber mitbringt, wird reich beschenkt. „Fire Walk With Me“ gehört zu den eher unterschätzten Filmen Lynchs. Aber es ist alles da, was die Serie bestimmt hat: Mysteriöse Dialoge, erleuchtete FBI-Agenten mit seltsamen Ermittlungsmethoden, Rätsel, toxische Männlichkeit, die im Untergrund der Kleinstadtidylle und irgendwann auch an ihrer Oberfläche das Geschehen bestimmt. Das alles eingebettet in meditativ dröhnende Musik und wunderschöne, dunkle Bilder. Auch wenn man den auch für Fans manchmal rätselhaften Plot-Abläufen nicht folgen kann, wirkt der Film über seine Atmosphäre.
Vielleicht ist es Lynch am Ende tatsächlich gelungen, sein Unbewusstes zu filmen. Ein Unbewusstes, das sich im besten Fall mit dem Unbewussten des Zuschauers verbindet, mit unabsehbarem Ausgang.
„Fire Walk With Me“ läuft am 5. September, 19.30 Uhr, im Central Theater Osterholz-Scharmbeck.