Die schönen Dinge sehen wollen
William Anders ist gestorben. Er hat bei der ersten bemannten Mondmission 1968 das wichtigste Foto der Erde für die NASA geschossen. Heiner Wenk erinnert sich an den historischen Tag und betont die Wichtigkeit von Perspektivwechseln.
Als ich 10 Jahre alt war, hatte ich ein Radio, mit dem ich die Reportage der ersten bemannten Mondumrundung verfolgen konnte. Ich habe das nie vergessen. Die Freude, als das Raumschiff von der Rückseite des Mondes, auf der keine Kontaktaufnahme zu den Astronauten möglich war, wieder auf die helle Seite zurückkehrte. Der Mond kehrt der Erde aufgrund der gebundenen Rotation ja immer die gleiche Seite zu. Und zur Rückseite, der „Dark side of the moon“, gab es keinen Funkkontakt. Das Ganze war am Heiligen Abend 1968.
Was ich damals nicht mitbekommen habe, war die Entstehung des wohl berühmtesten Fotos der bemannten Raumfahrt, das unter der Bezeichnung „Earthrise“ bekannt geworden ist, und die wohl die einflussreichste Umweltfotografie darstellt, die je gemacht wurde: Apollo 8 umkreiste den Mond.
Bei der 4. Umrundung machten die Astronauten eine kleine Kurskorrektur. Die Fenster des Raumschiffs waren eigentlich immer auf die Mondoberfläche gerichtet; die Astronauten sollten den Mond für die geplante Landung erkunden. Bei der Kurskorrektur war dann plötzlich der Mondhorizont zu sehen, und da sahen die Astronauten über dem Horizont die aufgehende Erde. Man war ergriffen. Zwischen Frank Borman und William Anders gab es einen kurzen Streit, ob man die Erde fotografieren dürfe, weil das im wissenschaftlichen Programm nicht vorgesehen war. Doch William „Bill“ Anders macht das Foto von der Erde, dem Erdaufgang. Und dann findet er: Das ist nichts in Schwarzweiß. Die Erde ist so wunderschön blau, der blaue Planet. Er läßt sich von Borman einen Farbfilm geben. Er legt den Farbfilm in seine Hasselblad-Kamera; analog natürlich.
Er legt also den Farbfilm in die Hasselblad 500 ein und macht das Bild, das anschließend auf einer Briefmarke mit den ersten vier Worten der Bibel: „In the beginning God...“ weltberühmt wird. „The rising earth“. Die aufgehend Erde.
Nur ein Jahr später steht Neil Armstrong auf dem Mond, wieder mit großen Sprüchen: „...a big step for mankind“.
Und heute? Heute sprechen wir gar nicht mehr vom Erdaufgang, sondern eher vom Weltuntergang. Von der Erhöhung der Meeresspiegel, vom Niedergang des Gesundheitswesens, der Eurokrise, dem Krieg. 45 Jahre nach Apollo 8 brauchen wir wieder einen Perspektivenwechsel. Dazu muss man auch gar nicht wieder um den Mond kreisen. Aber man muss Phantasie haben. Albert Einstein konnte seine Relativitätstheorie nur entwickeln, weil er sich in die Perspektive eines extraterrestrischen Beobachters hineinversetzen konnte. Aufbau statt Abbau, Aufbruch statt Abbruch, Aufgang statt Untergang. Man muss es nur sehen wollen. Eine andere - nicht vorgesehene - Perspektive einnehmen. Etwas nicht Geplantes tun. So wie William Anders, als er verbotenerweise einfach die aufgehende Erde fotografierte. Was hat er damit für eine Bewegung losgetreten.
William Anders ist am Freitag, 7. Juni, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Er steuerte die Maschine selbst. Er wurde 90 Jahre alt. Auf www.nasa.gov kann man das Apollo 8 Flight Journal nachlesen.