

Nachträglich betrachtet war der Film Werner Beinhart! von 1990 mein - um Alexander Dobrindt zu zitieren - „beschäftigungsfeindliches“ Erweckungserlebnis. Mein Vater hatte den Film damals auf VHS aufgenommen und mich und meinen jüngeren Bruder mit einem Filmabend überrascht. Ich muss neun Jahre alt gewesen sein, und der Film kesselte ordentlich in meinem kindlichen Brägen. Über mehrere Wochen schaute ich ihn jeden Samstagmorgen, noch bevor meine Eltern wach wurden, mindestens einmal. Die ins Absurde gedrehte Zerstörung, die Verachtung für Polizei, Vorgesetzte und putzfimmelige Dinkeldörtes sowie die Liebe zu Motorrädern brachte meine gerade erst draufgeschafften zivilisatorischen Grundfähigkeiten ähnlich lustbefreiend ins Wanken wie der Bölkstoff Werner, Eckat und den Präsi.
Dass der Film bei mir einschlug, war folgenden Bedingungen geschuldet: Ich hatte damals ein Mofa im Nachbargarten gefunden, mit dem ich durch die Gegend fuhr - zwar nur als sehr schwergängiges Fahrrad, weil wohl die Zündkerzen vergriesgnaddelt waren. Aber ab und an konnte ich mit Gewalt aus dem Ding ein paar Motorengeräusche holen. Und die mich auf mein illegales Gefährt hinweisenden Dorfpolizisten waren für mich wie jene Mütter, die die Unverschämtheit besaßen, mich für die erzwungene Propagandaleistung, die ich für Martin Luther beim sogenannten Martinisingen zu erbringen hatte, lediglich mit Mandarinen und Nüssen zu entschädigen statt mit Zucker - ein grünes Bollwerk gegen Spaß.
An diesen Spielverderbern rächte sich Werner für mich, und das umfassend, aber mit minimalem Einsatz: Mit einem Fußball auf einem Wochenmarkt brachte er die neue deutsche Gesellschaft zudringlicher, ökologisierter Gutmenschen, straflüsternder Paragraphen-Knechte und patriarchaler Wichte der 90er Jahre zu Fall - die einander bei aller lebensweltlichen Unterschiedlichkeit im lustfeindlichen Arbeits- und Leistungsfetisch glichen wie die Klinker ihrer Häuser.
Rötger „Brösel“ Feldmann hält mit seinen Werner-Comics, die ihre Ästhetik aus dem dreckigen Alltag der Malocher, Mechaniker und Motorradchaoten schöpfen und deren Stories sich um Suff, Schrott und Sabotage drehen, eine proletarische Subkultur fest, der der Sieg des Kapitalismus nach dem Mauerfall dasselbe Schicksal bereitete wie Kindern Mandarinen als Süßigkeiten unterjubelnde Grüne dem Verbrennermotor.
Während in der Realität die korporatistischen Gewerkschaften ihre Bedeutungslosigkeit im Neoliberalismus kampflos akzeptierten und ihren Mitgliedern im Verbund mit ihrem Scheingegner die nationalsozialistische Losung „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ einbläuten, um aus dem Proletarier den staatsbürgerlich gezähmten und selbstverwalteten Arbeitskraftunternehmer zu formen, der er heute ist, bestehen die Malocher Werner, Eckat und seine totalverweigernden Motorradrocker darauf, dass die alte wie neue Arbeitsethik eine Zumutung ist und die bürgerliche Gesellschaft ein nerviger wie kreativitätsfeindlicher Apparat, der zwar politische Lächerlichkeiten wie eine Helmpflicht und die PDS hervorbringt, aber für Wurstblinker kein Verständnis aufbringt. Der Spaß, da sind die Beinharten kompromisslos, liegt jenseits von ihm: im Saufen statt in Sparsamkeit. In Lethargie statt in Leistung. In Kneipe und Chaos statt im Kredit fürs Eigenheim. Und Glück ist - gedankenverloren und der Sache zugewandt - einem Viertaktmotor beim Zerlegen zuzusehen. Oder dem Chef dabei, wie er als Gas-Wasser-Scheiße-Sisyphos den Mythos der Selbstverwirklichung durch Arbeit bricht, wenn er in einem Strom aus Wasser und Fäkalien - mit seinem Kopf in einer aus der Wand gebrochenen Kloschüssel feststeckend - ein Hochhaus zigmal hochläuft und herunterfällt.
Klar, man sieht hier keine malochenden Klempner, die sich über die Gesellschaft, die sie buchstäblich und metaphorisch in die Scheiße fassen lässt, revolutionäre Gedanken machen und zum Aufstand blasen. Werner und seine Sauf-Motorradkumpane befreien sich nicht, sie flüchten - in Blödsinn und Bölkstoff. Ihre Lust an der Zerstörung ist eine Revolte ohne Richtung, kindlich und klischeejungenhaft. Aber diese kindliche Abwehr hat etwas radikal Sympathisches: Sie zeichnet sich dadurch aus, dass ihr keine unbewusste, ambivalente Akzeptanz der eigenen anpassungsbedingten Deformation zugrunde liegt, über die sie böse würde. Sie ist spontaner Ausdruck des noch nicht gefangen genommenen Lebendigen, das sich gegen seine Indienstnahme wehrt.
So hält Brösel, der nie Intellektueller sein wollte, dessen chaotische Comicwelt aber mehr Substanz bietet als ein linksliberaler Klassismuskritiker, das Bewusstsein einer proletarischen Subkultur fest, die ihren Frust nicht vom Staat an Schwächeren ausgelassen sehen will, sondern in Suff, Sabotage und ironischem Spott sublimiert. Die Malocher verachten ihr gesellschaftliches Schicksal, ohne es zu begreifen - aber sie hassen es nicht, wenn andere ohne Anstrengung Glück erfahren, und treten nicht nach unten, wie es laut Wahlergebnis ein Großteil der Malocher von heute tut. So steht Brösels breitbeiniger Bierhumor mindestens mit einem Bein in einer Welt, in der Suff und Motoren keine Überlebensnotwendigkeit mehr sind, sondern nur noch ein netter Zeitvertreib.
Auch wenn mein neunjähriges Ich das alles nicht begriffen hat – mein 30 Jahre älteres ist Rötger „Brösel“ Feldmann dankbar, dass er ihm seine „beschäftigungsfeindlichen“ Flusen in den Kopf gesetzt hat. Sie halfen mir schließlich, schlechte Zeiten nicht allzu persönlich zu nehmen – und gute Entscheidungen für Freiheit und Glück zu treffen. - Danke, Brösel. Und alles Gute nachträglich.