Leser

Ich bin Endverbraucher

Es folgt ein Leserbrief zu den Bauernprotesten.

Ich bin Endverbraucher. Damit bin ich nicht allein sondern befinde mich in einer Gesellschaft von vielen Millionen in dieser Republik. Mein Auto steht auch rund 90 % der Zeit in der Garage, am Straßenrand, auf dem Firmenparkplatz oder im Stau. Ich bekomme keine KfZ-Steuer geschenkt, ich muss den vollen Spritpreis bezahlen. Ich bekomme auch keine Befreiung, wie die Flieger, die keine Kerosinsteuer zahlen brauchen.

Ich bin Endverbraucher und muss entsetzt zusehen, dass der Mob bei Politikern übergriffig wird, Klimaaktivisten verprügelt, landwirtschaftlichen Treckerfahrern aber bei Blockaden Verständnis entgegengebracht wird.

Ich bin Endverbraucher. Ich trage mit meiner Arbeit auch zum BIP der Republik bei. Aber ich bekomme keine Subventionen oder Unterstützung wenn z.B. mein kleiner privater Tante-Emma-Laden vor der Pleite steht.

Ich bin Endverbraucher, quäle mich durch den Berufsverkehr mit öffentlichem Nahverkehr, der in ländlichen Regionen diesen Namen nicht verdient, damit ich unterbezahlt und am Rande der Leistungsfähigkeit meine Arbeit als Pflegekraft mit Freude ausüben kann.

Ich bin Endverbraucher und bezahle die CO2-Abgabe der Energieversorger mit meinen jährlich steigenden Rechnungen, bekomme aber keinen subventionierten Industriestrompreis.

Ich bin Endverbraucher und muss es irgendwie auf die Reihe kriegen, immer höhere Mieten wegen verhindertem Mietpreisdeckel zu wuppen.

Ich bin Endverbraucher und leide darunter, dass Sozialausgaben gekürzt werden, es zu wenig Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer gibt. Ich muss hilflos zusehen, wie Bildungsprogramme reduziert werden.

Ich bin Endverbraucher und muss sehen, dass ich bei einer Inflationsrate von 5,9% in 2023 (7,9% in 2022) irgendwie über die Runden komme.

Ich bin Enverbraucher und kann nicht, weil ich nicht subventioniert werde, mit Verlust von Arbeitsplätzen und Abwanderung ins Ausland drohen.

Ich bin Endverbraucher – und mir steht‘s bis hier oben. Ja, ich bin sauer. Aber ich bin nicht so doof wie ein Fünftel meiner Gruppe und wähle aus lauter Frust die Antidemokraten für Deutschland.

Was wäre denn, wenn wir Endverbraucher uns millionenfach mal zusammenschließen und mit bunten Fahnen und blinkenden Lichtern auf den Weg nach Berlin machen, und die Straßen besetzen? Wäre das tatsächlich eine Lösung, die Verhinderungs-, Subventions- und Sparpolitik der letzten Jahrzehnte in den Griff zu kriegen? Ich glaube nicht. Die jetzige Regierung macht Fehler. Das stimmt. Aber sie kann nicht für die politischen und gesellschaftlichen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte verantwortlich gemacht werden. Unsere Demokratie braucht vielmehr ein Miteinander und klare Köpfe, gerade auch von uns Endverbrauchern. Lassen wir uns doch nicht von den rechtsradikalen und populistischen Plattköppen aufhetzen.

Dass ein Miteinander funktioniert, sehen wir doch aktuell bei der Bekämpfung der Hochwasserlagen. An den Vollpfosten, die auf den aufgeweichten Deichen spazieren oder Kitesurfen auf Überflutungsgebieten ausüben, müssen wir uns nun wirklich nicht orientieren.

Lutz Schadek

 

Leserbriefe sind keine redaktionellen Beiträge, sondern stellen Meinungen der namentlich genannten Verfasser:innen dar. Die Redaktion behält sich das Recht vor, Leserbriefe zu kürzen und Grammatik wie Zeichensetzung im Original zu belassen. Anonyme Zuschriften werden nicht veröffentlicht.

 


UNTERNEHMEN DER REGION