Pestizid-Verbot geplatz
Agrarverbände und konservative Poltiker:innen feiern die Entscheidung als Sieg der Vernunft, Umweltschützer:innen sind entsetzt: Der Vorschlag der EU-Kommission zur neuen Pflanzenschutzverordnung (Sustainable Use Regulation - kurz SUR) ist am Mittwoch im Europäischen Parlament gescheitert. 299 Abgeordnete stimmten gegen den Entwurf, 207 dafür. Es gab 121 Enthaltungen. In der Debatte vor der Abstimmung waren fast 700 Änderungsanträge gestellt worden.
Gesamte Branche schlug Alarm
Eine Nachverhandlung im Umweltausschuss, den die grüne Berichterstatterin Sarah Wiener noch beantragt hatte, wurde ebenfalls abgelehnt. Damit ist die SUR in ihrer jetzigen Form gescheitert. Um das Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen, müsste die EU-Kommission einen komplett neuen Vorschlag erstellen.
Die Pflanzenschutzverordnung war von Beginn an heftig umstritten. Der Entwurf beinhaltete unter anderem das Ziel, den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln bis 2030 um 50% zu reduzieren. In „sensiblen Gebieten“ wie etwa Natura 2000- oder anderen Schutzgebieten sollten chemisch-synthetische Pestizide komplett verboten werden. Von Gemüseerzeugerinnen bis hin zu den Winzerinnen im Süden fürchtete die gesamte Branche um ihre Existenz: Unter solchen Auflagen werde es unmöglich sein, gewinnbringende Landwirtschaft zu betreiben, hieß es. Die EU werde vermehrt auf Lebensmittelimporte angewiesen sein, was letztlich nicht nur der Versorgungssicherheit in Krisenzeiten, sondern auch der Umwelt schade, weil außerhalb Europas geringere Standards in der Produktion gälten.
Landvolk begrüßt Entscheidung
„Im Landkreis Osterholz wären rund 3.700 Hektar Ackerland, 11.100 Hektar Dauergrünland sowie rund 25 Hektar Dauerkulturen und circa 250 Hektar Mischblöcke von der neuen Pflanzenschutzverordnung betroffen gewesen“, teilt Marieke Marthe Meyer zu Erbe, Pressesprecherin des Landvolks Osterholz, auf Anfrage mit. Das Landvolk begrüße die Entscheidung des EU-Parlaments. „Wir werten die Ablehnung der neuen Pflanzenschutzverordnung als konsequente Entscheidung für eine regionale, sichere, nachhaltige und zukunftsorientierte Landwirtschaft sowie Ernährungssicherheit. Landwirtschaft und Naturschutz lassen sich nur gemeinsam realisieren“, so Meyer zu Erbe.
„50 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel würden bedeuten, dass sich insbesondere der Ackerbau mit Kartoffeln, Zwiebeln, Zuckerrüben oder auch Getreide für unsere Landwirte nicht mehr rechnet“, erklärt Mareike Kerouche, Sprecherin des Landvolks Bremervörde-Zeven. In sensiblen Gebieten hätten die Landwirtinnen auf Mittel, die im ökologischen Landbau zugelassen sind, zurückgreifen müssen. „Leider sind diese Mittel mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden und haben nicht dieselbe Wirkung wie herkömmliche Pflanzenschutzmittel.“ Zudem gebe es in Deutschland bereits eine Vielzahl an Vorschriften zum Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln.
Die Pflanzenschutzverordnung hätte einige Betriebe zur Umstellung auf Ökolandbau gezwungen, erklärt Kerouche. Der Marktanteil von Bio-Produktion stagniere jedoch seit Jahren. „Durch die hohe Inflation greifen die Konsumenten schon jetzt weniger nach teureren Bio-Produkten. Durch das Hineindrängen zusätzlicher konventioneller Betriebe in den Ökolandbau, würde sich die Marktsituation noch verschärfen.“ So hätte die Pflanzenschutzverordnung durch höhere Konkurrenz und Preisverfall letztlich auch Bio-Höfe gefährdet.
Weitere zehn Jahre Glyphosat
Eine weitere umstrittene Entscheidung fiel bereits vor der Abstimmung zur Pflanzenschutzverordnung. Die Zulassung des Pestizids Glyphosat soll in der EU um zehn Jahre verlängert werden. Im Berufungsausschuss konnten die EU-Länder keine Einigung zum Thema erzielen, deshalb lag die Entscheidung allein bei der EU-Kommission, die sich im Vorfeld schon mehrfach für eine Verlängerung ausgesprochen hatte.
Kontrovers diskutiert wird vor allem die wissenschaftliche Grundlage der Entscheidung. „Die Weltgesundheitsorganisation hat Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend eingestuft, und mehrere Gerichte haben jüngst Entscheidungen zugunsten Geschädigter getroffen. Ich würde mir wünschen, dass unabhängige Studien im Entscheidungsprozess stärker berücksichtigt werden als Herstellerstudien und dass wir eine Struktur aufbauen, die insgesamt transparenter ist“, kommentiert Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Grüne) die Entscheidung und stimmt damit in die Kritik vom NABU und anderen Umweltverbänden ein.
„Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA kam eindeutig zu dem Schluss, dass die Verwendung von Glyphosat in der Landwirtschaft sicher ist“, entgegnet der CDU-Landtagsabgeordnete Marco Mohrmann und kritisiert die Ministerin scharf. „Wenn Politik die Wissenschaft nicht akzeptiert, weil es nicht ins eigene Weltbild passt, wird dem Populismus Tür und Tor geöffnet. Ich halte das für unverantwortlich.“ Die EFSA selbst hat allerdings eingeräumt, dass es bei der Untersuchung Datenlücken gegeben hat.
Umweltverbände und die Verbraucherzentrale fordern weiterhin ein Verbot des Mittels, das von Bayer vertrieben wird. Sie verweisen auf das Vorsorgeprinzip: Solange die Unbedenklichkeit glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel nicht eindeutig gesichert sei, solle der Einsatz untersagt werden.