

Hitzewellen, Starkregen, Flutkatastrophen – in Zeiten zunehmender Extremwetterereignisse und sicherheitspolitischer Verunsicherung gewinnt der Bevölkerungsschutz an strategischer Bedeutung. Vor diesem Hintergrund haben fünf große Hilfsorganisationen – der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), das Deutsche Rote Kreuz (DRK), die Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) und der Malteser Hilfsdienst (MHD) – ein gemeinsames Positionspapier veröffentlicht, das in deutlicher Sprache strukturelle Defizite benennt und sechs zentrale Reformschritte fordert. Die Initiative trifft nicht nur auf bundespolitischer Bühne einen Nerv. Auch auf kommunaler Ebene berichten Verantwortliche von fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen, wachsender Bürokratisierung und einer spürbaren Überlastung der ehrenamtlich getragenen Einsatzstrukturen.
Ein System auf Kante genäht
„Die Katastrophen in Folge der rasant zunehmenden globalen Erderwärmung und die sich zuspitzende sicherheitspolitische Lage führen der Öffentlichkeit und der Politik auf dramatische Weise vor Augen, wie verwundbar Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger sind“, heißt es im Positionspapier der fünf Hilfsorganisationen. Deutschland sei auf künftige Krisen nicht ausreichend vorbereitet. Die bisherigen gesetzlichen Regelungen reichten nicht mehr aus, die föderale Struktur erschwere eine schnelle und koordinierte Krisenbewältigung, und auch die finanzielle Ausstattung liege weit hinter dem zurück, was für eine „leistungsstarke Vorsorge“ notwendig sei.
Zentraler Punkt der Kritik ist die mangelnde Wertschätzung des Ehrenamts – nicht nur symbolisch, sondern vor allem rechtlich und materiell. In den Hilfsorganisationen engagieren sich bundesweit mehrere Hunderttausend Menschen in ihrer Freizeit für den Bevölkerungsschutz, häufig ohne klare Freistellungsregelungen, ohne soziale Absicherung, ohne gesicherte Finanzierung für Ausbildung und Ausstattung. Die Organisationen fordern daher unter anderem eine bundeseinheitliche gesetzliche Grundlage zur Freistellung, Entschädigung und Absicherung der Ehrenamtlichen – analog zu den bestehenden Regelungen für das Technische Hilfswerk und die Feuerwehren. „Freiwillige Helferinnen und Helfer werden auch in Zukunft die tragende Säule im Bevölkerungsschutz sein“, betont DLRG-Präsidentin Ute Vogt. „Um gegen die künftigen Herausforderungen noch besser gewappnet zu sein, müssen wir das Fundament dieser Säule stärken.“
Darüber hinaus fordern die Unterzeichner eine deutliche Erhöhung des Bundeshaushaltsanteils für den Bevölkerungsschutz – von derzeit 0,12 auf mindestens 0,5 Prozent des Gesamthaushalts, also etwa 2,4 Milliarden Euro pro Jahr. Nur so könne die Ausrüstung modernisiert, die Einsatzbereitschaft gestärkt und die Resilienz der Bevölkerung durch Bildungs- und Informationsangebote flächendeckend verbessert werden.
Einsatzbereit, aber auf Verschleiß gefahren
Wie dringlich diese Forderungen sind, zeigen Stimmen aus der Region. Patrick Grotheer, Geschäftsführer des DRK-Kreisverbands Osterholz, beschreibt die Lage vor Ort als ambivalent: „Wir sehen uns gut aufgestellt, sowohl hinsichtlich Helferinnen und Helfer als auch Material.“ Gleichzeitig verweist er auf strukturelle Schwächen, die nicht durch lokales Engagement zu kompensieren seien. „Strukturell ist der Bevölkerungsschutz landesweit leider deutlich unterfinanziert. Wir bringen als Hilfsorganisation erhebliche Eigenmittel ein, um im Ergebnis so gut dazustehen, wie wir es derzeit tun.“
Besonders kritisch sieht Grotheer die ungleiche rechtliche Behandlung von Ehrenamtlichen. „Es steht für mich vollkommen außer Frage, dass die Gleichstellung der ehrenamtlichen Kräfte von Hilfsorganisationen wie dem DRK oder der DLRG mit denen der Feuerwehren überfällig ist“, sagt er. „Eine verlässliche soziale Absicherung würde zur Stärkung des Ehrenamtes beitragen.“ Gerade bei überörtlichen Einsätzen oder im Ausbildungsbetrieb gebe es noch immer keine flächendeckende Freistellungsregelung – ein Zustand, der vor allem junge und berufstätige Freiwillige vor große Hürden stelle.
Ähnlich äußert sich Andreas Rothgeber vom DRK-Kreisverband Bremervörde. Auch er berichtet von einer grundsätzlich funktionierenden Einsatzstruktur: „Wir sind recht gut aufgestellt. Aber um alle uns übertragenen Aufgaben zu erfüllen und vor allem mindestens eine Doppelbesetzung vorzuhalten, fehlt es noch an Personal.“ Die Fluktuation im Ehrenamt sei hoch, der Aufwand für Ausbildung und Material wachse – gleichzeitig schrumpften auf Landesebene die Fördermittel. „Die finanziellen Mittel für den Katastrophenschutz auf Landes- und Bundesebene müssen massiv erhöht werden“, fordert Rothgeber. Nur so ließe sich der Bevölkerungsschutz nachhaltig sichern.
Starke Teams, schwache Strukturen
Auch bei den Freiwilligen Feuerwehren zeigt sich ein ähnliches Bild: Einsatzbereitschaft und Motivation sind hoch, doch die strukturellen Rahmenbedingungen geraten zunehmend unter Druck. In Osterholz-Scharmbeck etwa konnte die Feuerwehr beim Hochwasser in Lilienthal auf mehr freiwillige Kräfte zurückgreifen, als sie tatsächlich entsenden musste. Pressesprecher Christ Hartmann sieht die personelle Lage positiv, warnt aber vor einem gesellschaftlichen Wahrnehmungswandel: „Dass dieses Engagement – auch im Katastrophenfall – primär auf einem ehrenamtlichen Fundament steht und vom aktiven Beitrag eines jeden Bürgers lebt, gerät zunehmend in Vergessenheit.“
In Bremervörde beschreibt Ortsbrandmeister Hendrik Holst die Truppe als „zuverlässig, motiviert, stark“. Doch auch er verweist auf wachsende Herausforderungen bei der Fahrzeugbeschaffung und in der Ausbildung. „Viele unserer Feuerwehrkameradinnen und -kameraden warten seit Monaten oder Jahren auf die Möglichkeit, an dringend benötigten Lehrgängen teilzunehmen“, berichtet Holst. Besonders kritisch sieht er die Verlagerung von Führungslehrgängen auf Onlineformate: „Führungsausbildung lebt vom Austausch, vom Training – das geht nicht am Bildschirm.“ Trotz vorhandener Bereitschaft verpuffe Engagement, weil die Ausbildungskapazitäten fehlen.
Auch die zunehmende Bürokratie belaste das Ehrenamt erheblich. „Die wachsenden bürokratischen Anforderungen und ständig neuen Vorgaben kommen zusätzlich zu Einsatz- und Ausbildungsdienst obendrauf – das summiert sich und belastet das Ehrenamt spürbar“, so Holst. Für ihn ist klar: „Das Ehrenamt verdient mehr Anerkennung. Wir sprechen hier von Lebenszeit, die Menschen für die Allgemeinheit geben – das muss auch entsprechend wertgeschätzt werden.“
Bevölkerungsschutz beginnt beim Einzelnen
Neben strukturellen Problemen benennen die Einsatzkräfte auch ein Defizit an Selbstschutzkompetenz in der Bevölkerung. „Wir erleben immer wieder, dass unsere ehrenamtliche Tätigkeit als grundsätzlich gegeben angesehen wird“, sagt Hartmann. Und Holst ergänzt: „Viele sind in solchen Ausnahmesituationen schlicht überfordert oder wissen nicht, was sie konkret tun können oder dürfen.“ Obwohl die Bereitschaft zu helfen in akuten Lagen oft vorhanden sei, mangele es an Wissen und Vorbereitung. Das führe dazu, dass mögliche Selbsthilfe unterbleibe – nicht aus Desinteresse, sondern aus Unsicherheit.
Dabei ließe sich durch gezielte Informationskampagnen, Schulungsangebote und die Integration des Bevölkerungsschutzes in schulische Bildung viel bewirken, sind sich beide Feuerwehrvertreter sicher. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) habe sein Informationsangebot in den vergangenen Jahren bereits ausgebaut – doch vor Ort bleibe noch viel zu tun. In Bremervörde ist etwa ein Flyer mit regionalen Hinweisen in Vorbereitung, der an alle Haushalte verteilt werden soll.