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Überbelegt und unterbesetzt

Überlastete Gefängnisse machen erneut Schlagzeilen. Der Berufsverband der Vollzugsbeamten schlägt Alarm.

Personalmangel macht auch vor deutschen Gefängnissen nicht Halt - auf Seiten der Vollzugsbeamten.

Personalmangel macht auch vor deutschen Gefängnissen nicht Halt - auf Seiten der Vollzugsbeamten.

Bild: Adobestock

In deutschen Gefängnissen gibt es seit Jahren Probleme: Die Haftanstalten sind überfüllt, Stellen für Vollzugsbeamte können nicht besetzt werden. Darüber hinaus werden die Haftbedingungen kritisiert.

In den letzten Wochen häufen sich die Meldungen: In deutschen Gefängnissen ist kaum noch Platz. Die Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalten klagen über Personalmangel, zunehmende Gewalt und Probleme im Umgang mit Häftlingen mit Migrationshintergrund. Nicht zum ersten Mal schlägt der Vorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD), René Müller, Alarm.

2000 Stellen sind unbesetzt

„Wenn die Politik nicht langsam reagiert, bricht uns der ganze Laden zusammen“, sagt Müller gegenüber der Bild-Zeitung. Seit 2016 seien 2.000 Stellen im Justizvollzug unbesetzt, in manchen Gefängnissen käme ein Beamter auf 70 Häftlinge, berichtet Müller. So könne man die Insassen nicht vernünftig betreuen.

Der BSBD-Chef berichtet weiter vom schwierigen und gefährlichen Arbeitsalltag in den Justizvollzugsanstalten: Mitarbeiter würden bedroht, der Kampf gegen eingeschmuggelte Handys und Drogen nehme kein Ende. Sprachbarrieren erschwerten die Betreuung der Gefangenen zusätzlich und sorgten auf beiden Seiten für Frust. Laut einer Umfrage der Universität Speyer im Auftrag des Bundesinnenministeriums haben rund ein Drittel der Beschäftigten im Justizvollzug bereits Gewalt - inklusive Bedrohungen und Beleidigungen - erlebt. Damit sind sie in etwa so häufig betroffen wie Feuerwehr und Rettungskräfte. Die Hälfte der Fälle wird nicht gemeldet.

Mehr Geld für Vollzugsbeamte

Der BSBD fordert vor diesem Hintergrund eine bedarfsgerechte Personalplanung für den Justizvollzug. Gegen vakante Stellen könne nur helfen, den Beruf attraktiver zu machen. Das heißt im Klartext: mehr Geld für Vollzugsbeamte. Neben einer Anpassung der Entgeltgruppen schweben dem Verband höhere Zulagen für Schichtdienste sowie eine arbeitgeberfinanzierte Berufsunfähigkeitsversicherung vor. Für Pflegepersonal, das in Gefängnissen arbeitet, fordert der BSBD ebenfalls eine gesonderte Zulage.

Zahl der Häftlinge sinkt seit Jahren

Diese Forderungen stellt der Berufsverband seit Jahren, das Problem ist weder neu noch unbekannt. Regelmäßig berichten Medien zudem über Platzprobleme in deutschen Gefängnissen. Dabei sinkt die Zahl der Häftlinge bundesweit kontinuierlich: Im Jahr 2014 saßen in Deutschland etwa 64.000 Menschen in Haft, 2023 waren es noch rund 58.000 Insassen. Das entspricht einem Rückgang um etwa 9%.

In Niedersachsen gibt es 13 Justizvollzugsanstalten. Laut Justizministerin Kathrin Wahlmann sind die rund 6000 Plätze im geschlossenen Vollzug derzeit zu 95% belegt. Hinzu kommen etwa 690 Plätze im offenen Vollzug, von denen im letzten Jahr die Hälfte belegt war. Sowohl im geschlossenen als auch im offenen Vollzug sind die Kapazitäten in den letzten zehn Jahren gesunken.

Die Belegung der Gefängnisse ist natürlich wechselhaft: Insassen werden entlassen oder verlegt, einige sitzen vorübergehend in Untersuchungshaft. Eine Anfrage der AfD-Fraktion im Landtag ergab, dass im März 2023 rund 80% der Plätze im Vollzug in Niedersachsen belegt waren. Einzelne Anstalten können davon abweichen. Wenn 85 bis 90% der Plätze belegt sind, spricht man im Justizvollzug von einer Vollbelegung.

Verband will Extremisten zentral unterbringen

Zehn Prozent der Plätze in einer Haftanstalt sollten immer frei bleiben, um die Belegung steuern zu können. Denn in Gefängnissen bestehe immer - verstärkt vor dem Hintergrund sprachlicher Barrieren - die Gefahr, dass sich unter den Häftlingen Subkulturen bildeten, wie etwa der Sozialwissenschaftler Bernd Maelicke darlegt. Wenn Häftlinge fast ausschließlich Kontakt zu anderen verurteilten Straftätern hätten, erhöhe das letztlich auch das Risiko eines Rückfalls - eines der grundlegenden Probleme von Strafanstalten. In Deutschland werden rund 48% der ehemals Inhaftierten erneut kriminell. René Müller vom BSBD bereitet insbesondere die Gruppe der Islamisten Sorgen: Die Gefahr, dass Gefangene während ihrer Haft mit terroristischem Gedankengut in Berührung kämen, sei groß. Er fordert deshalb, dass Extremisten in zentralen Bundesgefängnissen untergebracht werden sollten. Der Strafvollzug ist in Deutschland Ländersache.

CPT kritisiert Isolationshaft

Der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT), der regelmäßig Gefängnisse in der EU besucht, äußert Bedenken über lange Isolationshaft und mangelnde psychiatrische Versorgung von Gefangenen. „In den JVAs in Celle und Lübeck mussten Insassen, die über einen längeren Zeitraum in Einzelhaft gehalten wurden, in der Regel etwa 22 Stunden pro Tag allein in ihren Zellen verbringen und hatten nur sehr wenige zwischenmenschliche Kontakte“, hielt der Anti-Folter-Ausschuss in einem Bericht von 2022 fest. Im Gegensatz dazu habe es in der JVA Rosdorf ein „abwechslungsreiches Angebot“ mit vielen zwischenmenschlichen Kontakten für einen Insassen, der 24 Jahre lange in Einzelhaft war, gegeben.

In mehreren Anstalten stellt der CPT fest, die psychiatrische Versorgung der Gefangenen sei unzureichend. Die Anstaltsleitungen hätten jeweils angegeben, die Verlegung in ein geeignetes therapeutisches Umfeld sei schwierig. In den JVAs Celle und Lübeck litten mehrere Gefangene in Einzelhaft an schweren und anhaltenden psychischen Störungen und wurden nicht adäquat behandelt. Der CPT betont, dass Einzelhaft eine „extrem schädigende Auswirkung auf die geistige, körperliche und soziale Gesundheit der Betroffenen haben kann“. Die Suizidrate sei deutlich höher als bei anderen Gefangenen. Insgesamt nehmen sich in deutschen Gefängnissen verhältnismäßig viele Insassen das Leben, im europäischen Vergleich belegt die Bundesrepublik hier einen der oberen Plätze.


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