Zwischen Protest und Klimakrise
Lübberstedt. Erst 2021 gegründet, zog der Hamberger Ortsverband der Grünen noch im selben Jahr in die wichtigsten Gremien des Landkreises ein. Zum Neujahrsempfang traf sich die Partei am vergangenen Sonntag in der Lübberstedter Mühle.
Neben rund 50 MitgliederInnen, sind Landrat Bernd Lütjen sowie viele BürgermeisterInnen der umliegenden Ortschaften zugegen. Gemeinsam schaut man auf politische Entwicklungen des Jahres 2023 und wagt zusammen einen Blick in die Zukunft.
Ampel enttäuscht
„Das vergangene Jahr war wieder einmal geprägt von zahlreichen globalen und nationalen Katastrophen – unser Wunsch, dass sich durch die neue Regierung endlich etwas ändert, hat sich leider nicht erfüllt“, resümiert Fraktionsvorsitzender Wolfgang Goltsche. Trotzdem verliere man nicht den Mut, anstehende Herausforderungen gemeinsam als Bündnis zu meistern. Viele Weichen im Kampf um die Zukunft der Menschen seien dafür schon in die richtige Richtung gestellt. „Besonders im Bereich Photovoltaik und Windkraft entwickeln wir uns hier vor Ort zusehends weiter“, bemerkt Goltsche.
Im Landkreis will man sich deshalb auch 2024 intensiv mit dem Klima- und Artenschutz sowie der Nutzung erneuerbarer Energien beschäftigen. Zunächst wagt man dafür aber den globalen Blick gen Norden. Zu Gast ist Geochemiker Dr. Volker Rachold vom Alfred-Wegener-Institut, der über aktuelle Entwicklungen der Arktispolitik und die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels rund um den Nordpol aufklärt. „Die Arktis erwärmt sich faktisch am schnellsten“, so der Leiter des deutschen Arktisbüros in Potsdam. Eine klimatische Entwicklung, die sich für nördliche Anrainerstaaten sogar als politisch attraktiv erweise, da so ein schnellerer Zugang zu Ressourcen wie Öl und Gas entsteht.
Die Arktis könnte bald durchquert werden
„Für Russland ist das Gas der Arktis eine der zentralen Geldquellen und auch Norwegens Reichtum fußt nahezu ausschließlich auf dortigen Ressourcen“, erklärt Rachold. Ein Umstand, der - verstärkt durch die Preissteigerungen der vergangenen Monate - zum Kampf der Staaten um wertvolle Rohstoffe führt. „In knapp 20 bis 30 Jahren könnte das Eis sogar so weit zurückgegangen sein, dass es möglich ist, die Arktis quer durch die transpolare Passage zu durchfahren“, so der Arktisexperte weiter. Ein schockierendes Eisschwinden, welches sich wiederum politisch entlastend auswirken könne, da das Passieren mariner Hoheitsgebiete einiger Staaten dann nicht mehr zwingend nötig sei.
Weiter erwartet man in den arktischen Gebieten bis 2100 einen Temperaturanstieg von über 10 Grad, der zur Entstehung sogenannter „Kippelemente“ im Klimasystem beiträgt. „Gemeint sind damit irreparable Klimaszenarios wie das Abtauen der Permafrostböden, die schädliche Treibhausgase freisetzen oder das Abschmelzen des Grönland-Eisschildes, was zum drastischen Anstieg des Meeresspiegels führt“, erläutert Dr. Rachold. Denkbar sei dabei eine Erhöhung um bis zu 6 Meter, die auch an deutschen Küsten nicht folgenlos bliebe.
Zusammenarbeit steht still
Besonders wichtig seien deshalb Gremien wie der 1996 gegründete Arktische Rat - eine Initiative der sieben Anrainerstaaten, gemeinsam mit der indigenen Bevölkerung der Arktis, die ursprünglich auf den russischen Präsidenten Gorbatschow zurückgeht. „Durch den Ukrainekrieg steht die politische Zusammenarbeit dort jedoch momentan still, da sich alle anderen Staaten gegen das politische Handeln Russlands aussprechen“, fasst der Geochemiker zusammen. Da der Zugang zum russischen Territorium sowie den von ihnen gewonnen Daten fehle, scheint die zeitnahe Entwicklung eines gemeinsam Planes unwahrscheinlich.
Mit Blick auf die Bauernproteste der letzten Wochen ist Zusammenarbeit auch hier vor Ort ein Thema, das die Grünen bewegt. Nach dem offiziellen Teil des Neujahrstreffens will man deshalb mit Landwirten in den Austausch treten, die sich am Tag des Empfanges vor der Mühle versammeln. Für Goltsche das Resultat einer langjährig fehlerhaften Agrarpolitik. Mit Sorge betrachte man jedoch das Unterwandern der Proteste durch rechte Gruppierungen. „Anregen möchte ich deshalb zu einer parteilichen Vereinigung im Landkreis, um sich gemeinsam gegen Rechts zu positionieren“, findet Wolfgang Goltsche klare Worte.