„Auch Nicht-Landwirte sollten demonstrieren"
Bremervörde. Seit Wochen stehen bundesweit die von Landwirten angeführten Proteste im Fokus der Öffentlichkeit. Eine Gruppe in Bremervörde suchte auf dem Wochenmarkt das Gespräch mit den Menschen.
Zuletzt ist es in Bremervörde etwas ruhiger geworden. Der ANZEIGER traf einige Aktivist:innen, die Anfang Januar auf dem Wochenmarkt Flyer verteilt hatten, um ein Feedback über die bisherigen Aktionen zu bekommen.
Große Enttäuschung
Befragt nach konkreten Forderungen und an wen sich diese richten, bricht sich große Enttäuschung über die derzeitige Bundesregierung Bahn. Chris Lange und Bernd Nehring, Angestellte bei Schröder Bio-Energie in Mehedorf berichten, dass die Politik nun zwar den „Bauern-Soli“ (Tierwohl-Cent) in einer ähnlichen Höhe, wie es zuvor die Förderung des Agrar-Diesels ausgemacht hätte unterstütze, „aber das soll an Bedingungen geknüpft werden. Es profitieren diejenigen, die ihren Stall modernisieren. Was aber machen Getreidebauern? Oder diejenigen, die vor kurzem ihren Stall bereits modernisiert haben?“, beschreibt Bernd Nehring das Problem an einem Beispiel.
Im Gespräch wird deutlich, dass den Landwirten, insbesondere aber auch dem Transportwesen die Planungssicherheit fehlt und sich die Gewerbetreibenden mit „nicht umsetzbaren Auflagen“ belastet sehen. Mit der Anhebung der LKW-Maut und dem Wegfall von Steuervergünstigungen in der Gastronomie oder dem Aussetzen der Strompreisbremse gelten von heute auf morgen neue Bedingungen.
Chris Lange nennt ein weiteres Beispiel: „Wenn ich eine größere Fläche bewirtschafte, bekomme ich mehr Förderung. Ich habe allerdings das gleiche Zeitfenster im Jahr für die Bewirtschaftung wie ein kleiner Betrieb. Das bedeutet, dass ich auch mit steigender Fläche entsprechend mehr Personal und Maschinen finanzieren muss“. Die Landwirte fühlen sich nicht ausreichend beteiligt an der Gestaltung der Agrarpolitik. Auch leiden sie unter der überbordenden Bürokratie. „Wir möchten mit ins Boot geholt werden“, so Lange, der sich - wie wohl viele seiner Berufskollegen auch - oft machtlos und vom Bauernverband ebenfalls nicht ausreichend vertreten fühlt.
Werben um Verständnis
Der Bremervörder Gruppe gehe es insbesondere darum, Verständnis, Zuspruch und Unterstützung zu erhalten, anstatt die Menschen durch Straßenblockaden zu verärgern. Deshalb hatte Julia Patzak, Angestellte und Mutter, die sich als Vertreterin des Mittelstands sieht, die Idee mit den Flugblättern auf dem Wochenmarkt. „Der Bauer an sich ist ein friedliches Wesen. Der möchte eigentlich im Hintergrund in Ruhe seine Arbeit machen. Unser branchenübergreifender Protest ist friedlich und gesittet.“ Das sei auch die Stimmung in der von Julia Patzak gegründeten WhatsApp-Gruppe gewesen. Engagiert, friedlich und parteiunabhängig, niemanden habe man wegen aggressiver Rhetorik oder Instrumentalisierungsversuchen aus der Gruppe „schmeißen“ müssen.
Die Aktivist:innen sind sich durchaus bewusst, dass auf dem Wochenmarkt, auf dem regionale Spezialitäten zu erzeugerfreundlichen Preisen verkauft werden, eine kaufkräftige Klientel verkehrt. Auf die Frage, ob sie selbst regelmäßig auf dem Wochenmarkt einkaufen gehen könnten schütteln alle drei den Kopf. „Ich muss meinen Kindern im Supermarkt immer öfter etwas verweigern, weil es einfach nicht drin ist“, sorgt sich Julia Patzak.
„Auch Nicht-Landwirte sollten demonstrieren“
Die drei wünschen sich, endlich gehört und mit Respekt behandelt zu werden und warten darauf, dass die Politik endlich reagiert. Und Bernd Nehring ergänzt: „So wird das Höfesterben weitergehen, unsere Wettbewerbsfähigkeit ist in Gefahr. Und die Politik zielt scheinbar darauf, unseren Protest auszusitzen, bis wir ab März wieder auf den Feldern unterwegs sein werden.“
Chris Lange bilanziert: „Wir können mit unseren gut sichtbaren Treckern nur der erste Schritt sein. Nun wünschen wir uns mehr Beteiligung aus der Bevölkerung, dem Mittelstand, dem Transportwesen.“ Auch Nicht-Landwirte sollten protestieren.