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Erst Kiew, dann Taipeh?

Bremervörde (eb). Thomas Awe sprach in Bremervörde über Parallelen zwischen Russland und China.

Referent Thomas Awe (Mitte) mit Axel Loos (li.) und Werner Hinrichs von der GSP  Elbe-Weser.

Referent Thomas Awe (Mitte) mit Axel Loos (li.) und Werner Hinrichs von der GSP Elbe-Weser.

Der langjährige Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tokio, Peking und Shanghai referierte auf Einladung der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) über die Kriegsgefahr in Ostasien.

„Ziehe nicht die Würde meines Landes in den Schmutz!“. Mit diesen Worten habe seine chinesische Frau ihn jedes Mal verabschiedet, wenn Thomas Awe, langjähriger Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tokio, Peking und Shanghai, zu einem seiner Vorträge aufbrach. Doch als er am 26. Januar die Einladung der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) annahm, aus dem russischen Angriff auf die Ukraine Lehren über den Konflikt zwischen China und Taiwan zu ziehen, sei das anders gewesen. „Erzähle den Menschen, was in diesem furchtbaren Land wirklich los ist!“, lautete am Vorabend Awes Auftrag. Angesichts des voll besetzten Kundenzentrums der EWE in Bremervörde zeigte sich, dass auch das Interesse in der Ostestadt für diesen Konflikt sehr groß ist.

 

40 Jahre in Ostasien gelebt

 

„Ich stehe hier nicht als Referent vor Ihnen“, so Awe, „sondern buchstäblich als Reporter, als jemand, der etwas zurückträgt, nämlich die Bilanz eines nunmehr vierzigjährigen Lebens in Ostasien“. Mit druckreifer Rhetorik an das Publikum gewandt, berichtete Awe mit vielen persönlichen Details unterfüttert von seinen Erfahrungen in China, Korea und Japan und vermittelte ein beklemmendes Gefühl des Lebens in „diesem Land“, der Volksrepublik China.

Auch wenn zunächst wenig Gemeinsamkeiten mit der Ukraine bestünden, so sei die Analogie zu Taiwan eine große. Geschichtliche Tatsachen, die Gründung der Republik China (Taiwan) 1912 und der Volksrepublik 1949 sowie die politischen und diplomatischen Fallen der Ein-China-Politik würden von Peking mit einer ausdauernden Propaganda konterkariert. „Narrative erzählen das Warum“, erklärte Awe, und Taiwan sei schon immer integraler Teil Chinas gewesen. Die Staatsgründung der Volksrepublik vor fast achtzig Jahren markiere dabei nicht die Geburt Chinas, vielmehr sei dieses schon immer da gewesen.

 

Zurück in die Mitte der Welt

 

China sei keine aufstrebende Nation, so Awe, sondern kehre in den Augen seiner politischen Führung dahin zurück, wo es von seiner Bestimmung her hingehöre: in die Mitte der Welt, ins Zentrum. Das britische Empire und die US-amerikanische Dominanz seien für die Chinesen nur eine Anomalie, mit der es im ersteren Falle vorbei sei und im zweiten kurz davor. Mit der verfassungsmäßig gebotenen Wiedergewinnung Taiwans sei es Xi Jinping ernster als all seinen Vorgängern. Die Taiwan-Frage wolle er noch zu seinen Lebzeiten lösen. Dabei warte er nur auf einen militärischen Konflikt mit den USA, der Verlust von Menschenleben sei für Xi akzeptabel. Dieser halte es mit Mao nach dem Motto: „Was zählen ein paar hundert Millionen, wir haben ja genug davon.“

Hier, so Awe, komme die für uns völlig fremde Sichtweise auf das Individuum zum Tragen. Der Einzelne zähle nichts, es gehe nur um das Kollektiv. Sehr schön käme das bei dem Namen für das eigene Land zum Ausdruck. Dort hieße China schlicht „Land der Familien“. Die Gruppe, angefangen bei den Hausnachbarn, seiner Straße, der Kommune bis zur Provinz und schließlich zum Staat sei das Maß aller Dinge. Herkunft und Rang machen den Menschen und seinen Wert aus.

Die Corona-Krise habe dies in erschreckender Weise offengelegt. Die Verteilung der Medizin erfolgte nach rigorosen Nutzen-Erwägungen. Nicht derjenige bekam die Mittel, der am meisten zu leiden hatte, sondern der, der meist aufgrund des Alters, das beste Investment darstellte. Seine über neunzigjährige Schwiegermutter habe dies auf schmerzhafte Weise erdulden müssen, als sie gezwungen war, sich vom neunzehnten Stockwerk hinunter zur Ausgabestelle zu machen, um eine Schmerztablette zu empfangen. Erhalten habe sie eine halbe, Die Bitte um eine weitere halbe Tablette hätte den Verdacht des Dealens nach sich gezogen.

 

Propaganda und Täuschung

 

Und dann sei von einem Moment auf den anderen die Abkehr von der Null-Covid-Strategie über die Menschen hereingebrochen und habe diese völlig orientierungslos zurückgelassen. Als habe es Covid nie gegeben, werde nun peinlichst darauf geachtet, dass von der „Erkältung 2.0“ die Rede ist. Damit reihe sich die Gesundheitspolitik der Volksrepublik China unter Inkaufnahme von vielen Toten in die Strategie Chinas von Propaganda und Täuschung, so als haben sich die Visionen von Orwells 1984 mit Huxleys Schöner, neuer Welt vereint. Und zu dieser gehöre unmissverständlich Taiwan.

 

Ideologie vor Ökonomie

 

„China beobachtet sehr genau, wie Europa und die USA mit dem Ukraine-Konflikt umgehen“, erklärte Awe. Dass Taiwan auch für China der wichtigste Halbleiter-Lieferant ist, sei nur eine Marginalie. Für China gehe Ideologie immer vor Ökonomie.

Er halte einen Waffengang zwischen China und den USA für sehr wahrscheinlich, denn „auch in den USA, nein in Kalifornien hörte ich ähnlich kriegstreiberische Worte“, machte Awe bei seinem Vortrag in der BBS Bremervörde wenig Hoffnung auf Entspannung. Den Prophezeiungen sogenannter Experten eines Angriffs im Jahr 2027, dem hundertjährigen Geburtstag der Chinesischen Volksarmee, erteilt Awe allerdings eine Absage. China handle in anderen Zeitmaßen, wichtig sei, wann die jungen chinesischen Offiziere in der Lage seien, die komplexen Waffensysteme zu orchestrieren, die für eine militärische Konfrontation notwendig seien. Für China gelte das alte Sprichwort, es könne nur einen Tiger auf dem Berg geben. Ob die Taiwan-Frage notwendigerweise militärisch gelöst werden müsse, ließ Awe aber dann doch offen. Der Hinweis auf eine wachsende Opposition, die sich aus einer fundamentalen Kritik an der Corona-Politik speist, lasse vielleicht doch hoffen.


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