Lena Stehr

Konflikt Abtreibung

Laut Statistischem Bundesamt haben 2020 deutschlandweit rund 100.000 Frauen ihre Schwangerschaft abgebrochen. Dass jetzt der Paragraf 219a, der Werbung für Abtreibungen verbietet, abgeschafft werden soll, ist auch in der Region umstritten.

Bild: Depositphoto.com/Ana Blazic Pavlovic

Während das oberste US-Gericht unter großen Protesten erwägt, das Recht von Frauen auf einen Schwangerschaftsabbruch zu kippen und offenbar schon jetzt Millionen Amerikanerinnen aus Angst vor möglicher Strafverfolgung ihre Menstruations-Apps, und damit auch die gespeicherten Daten von ihren Handys löschen, hat auch der Deutsche Bundestag kürzlich über das Thema diskutiert.
Die Ampelregierung möchte nämlich den umstrittenen Paragrafen 219a, der Werbung für Abtreibungen verbietet, aus dem Strafgesetzbuch streichen lassen. Gegen „anpreisende und anstößige Werbung für Schwangerschaftsabbrüche“ sollen künftig andere Rechtsnormen in Kraft blieben. Bislang führt der Paragraf unter anderem dazu, dass Ärztinnen und Ärzte keine ausführlichen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche öffentlich anbieten können, ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen.
AfD und CDU übten Kritik an den Plänen, die Linken-Abgeordnete Heidi Reichinnek forderte dagegen, auch den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen und Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich als nicht rechtswidrig zu erklären. Derzeit gilt eine Abtreibung, die in den ersten zwölf Wochen und nach Beratung durchgeführt werden kann, nämlich nach wie vor als rechtswidrig, auch wenn sie straffrei bleibt.
 
Für sachliche Aufklärung
 
Der Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Dr. med Ulrich Schumann, ist der Meinung, dass Frauen in unserer Region auch ohne die Abschaffung des Paragrafen 219a gute Möglichkeiten haben, sich über einen Schwangerschaftsabbruch, der in den meisten Fällen von den Krankenkassen übernommen werde, zu informieren und diesen auch durchführen zu lassen. Schumann befürwortet ein grundsätzliches Werbeverbot, sachliche Aufklärung und seriöse Informationen zum Thema Abtreibung seien jedoch unabdingbar. Es müsse aber auch klar sein, dass ein Schwangerschaftsabbruch für die Frauen häufig psychisch sehr belastend sei und keinesfalls als adäquate Verhütungsmethode angesehen werden sollte.
Vanessa Zobel, Ortsbürgermeisterin in Mehedorf und CDU-Stadtratsmitglied in Bremervörde, sieht die Abschaffung des Paragrafen 219a kritisch. Sie fände es nicht richtig, wenn online womöglich bald auf Schwangerschaftsabbrüche hingewiesen werden dürfe wie auf Schönheitsoperationen. Es fühe sich für sie einfach nicht richtig an, wenn ein so emotionales Thema beworben werde wie eine Nasenkorrektur. Es gehe schließlich um menschliches Leben.Grundsätzlich stehe sie als Mutter aber dazu, dass jede Frau das Recht habe, selbst über ihren Körper und ihr Leben zu entscheiden.
 
„Die Abschaffung von 219a ist überfällig“
 
„Dass der Paragraf 219a endlich abgeschafft wird, ist überfällig“, sagt dagegen Anne Kura, Landesvorsitzende der niedersächsischen Grünen. Ungewollt Schwangere bekämmen endlich sichere Informationen, statt allein gelassen und stigmatisiert zu werden. Schwangerschaftsabbrüche müssten gesetzlich geregelt sein, hätten im Strafgesetzbuch aber nichts zu suchen. Deshalb müsse auch der Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Sollte das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche in den USA tatsächlich eingeschränkt werden, wäre das ein riesiger Rückschritt für die Rechte von Frauen und damit auch ein grundlegender Rückschritt für die Demokratie, so Kura.
Jutta Rühlemann, Superintendentin im evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Osterholz, sieht in der Streichung des Paragrafen 219a eine wünschenswerte Stärkung von Ärztinnen und Ärzten und gegen deren Verunglimpfung durch Abbruchsgegner:innen. Es müsse jedoch darauf geachtet werden, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht im Sinne eines Heilmittels beworben würden.
 
Immer eine Gewissensfrage
 
Die Überlegung zum Abbruch einer Schwangerschaft sei immer auch eine Gewissensfrage, die weit über die rechtliche Betrachtung hinaus gehe und eines angemessenen und geschützten Raumes zur Vergewisserung und Begleitung bedürfe, so Rühlemann. Grundsätzlich sei die von der Frau getroffene Entscheidung nicht zu bewerten oder gar zu verurteilen. Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen wie die der Diakonie, die den benötigten Schein für die Durchführung einer Abtreibung ausstellen, würden stets ergebnisoffen beraten und böten eine umfassende Unterstützung für die betroffenen Frauen, betont Rühlemann.
Vielen Frauen in den USA bleibt derweil womöglich bald nur noch die Möglichkeit, mittels der anonym im Netz bestellbaren Pille Mifepriston ohne einen chirurgischen Eingriff - und vermutlich auch ohne medizinische und psychische Unterstützung - abzutreiben, zumindest bis zur zehnten Schwangerschaftswoche.
Und was wäre, wenn Männer schwanger werden könnten? „Dann wäre Abtreibung schon Grundrecht“, meinen viele Frauenrechtler:innen.
 
Schwangerschaftskonfliktberatungen bieten neben dem Diakonischen Werk auch profamilia und die Landkreise an.


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