Die versteckten Kosten unserer Lebensmittel
Vor kurzem senkte Aldi trotz krisenbedingter, allseitige Preissteigerungen die Fleischpreise: 500 Gramm gemischtes Hackfleisch sanken von 4,59 Euro auf 3,99 Euro. Bratwurst vom Schwein in der 400 Gramm-Packung verbilligte sich von 3,49 auf 2,99 Euro. Der Preis für ein Kilo Rindersteaks sank von 27,99 Euro auf 24,99 Euro. Diese „Geiz-ist-geil“ Mentalität, welche die deutsche Lebensmittelindustrie den Verbraucherinnen vorgibt, beeinflusst das Kaufverhalten.
So ist die Tatsache, dass der menschliche Fleischverzehr in Deutschland mit einem Pro-Kopf-Verbrauch im Jahr 2021 mit 81,7 Kilogramm rund doppelt so hoch ist wie der Weltdurchschnitt, kein Wunder. Die 81,7 Kilogramm beziffern den Gesamtverbrauch, in dem der Verbrauch von Tierfutter, die industrielle Verwertung sowie die Produktverluste berücksichtigt sind. Gegessen hat der Deutsche im letzten Jahr rund 55 Kilogramm.
Dieses Konsumverhalten der Verbraucher:innen weicht nicht nur deutlich von den Empfehlungen für eine gesunde Ernährung ab und bestärkt somit die Gefahren von Herzkreislauf- und oder Krebserkrankungen, es bringt auch ökologische Folgen mit sich.
Konkurrenzdruck
Die billigen und das hohe Konsumverhalten begünstigenden Preise sind zum einen deshalb möglich, weil die deutsche Landwirtschaft eine hohe Marktsättigung erreicht hat. Das zeigt sich z. B. an der Exportmenge. 2021 beispielsweise wurden von 4, 9 Millionen Tonnen Lebensmittel 2,3 Millionen Tonnen exportiert. Landwirtschaftsbetriebe stehen im Agrobusiness, innerhalb der intensiven und modernen Landwirtschaft daher in einer harten Konkurrenz zueinander. Die Folgen sind immer weniger, dafür immer größere Betriebe, die stetig ihre Produktivität und Produktion steigern, um genügend Gewinne zu erwirtschaften. Zudem lassen die geringen Erzeugerpreise wenig Spielraum für Investitionen in bessere Haltungsformen und nachhaltige Landwirtschaft.
Zum anderen sind die billigen Preise möglich, weil die externen ökologischen Kosten, die eine solche Intensivierung der Landwirtschaft verursacht, nicht eingepreist sind. Diese externen Kosten belaufen sich laut der Studie „Die Zukunft der deutschen Landwirtschaft nachhaltig sichern“, die die Boston Consulting Group mit Unterstützung des WWF durchführte, auf 90 Milliarden Euro. Diese beziffern die ökologischen Folgen, die durch Landwirtschaft erfolgen mit einem Geldwert. Im Vergleich dazu: Die Bruttowertschöpfung der Landwirtschaft lag 2020 und 2021 bei rund 20 Milliarden.
Die ökologischen Folgen
Zu den Folgen gehören extremer Flächenverbrauch (51 Prozent der Fläche Deutschlands wird für landwirtschaftliche Zwecke genutzt) und Emissionen von 66 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten, welche rund sieben Prozent der Gesamtemissionen Deutschlands ausmachen. Ein Drittel geht auf landwirtschaftliche Böden durch Bodenbearbeitung und Stickstoffdüngung, ein Drittel auf direkte Tierhaltung durch Methan- und Lachgasemissionen primär durch Rinder und ein Drittel auf Landnutzungsänderungen zurück. Dazu kommt eine deutliche Abnahme der Artenvielfalt. Laut eines Indexes des Bundesamtes für Naturschutz ist die Artenvielfalt von Flora und Fauna seit den 1970ern stark reduziert. Während der Index damals einen Wert von 120 Punkten hatte, stagniert die Artenvielfalt heute bei 59 Punkten. Weiterhin nimmt die Bodenfruchtbarkeit durch Bodenerosion, Verschlämmung und Verringerung der Humusschicht deutlich ab. Das Grundwasser wird durch Nitrat und die Oberflächengewässer durch Eutrophierung belastet. Die Wasserökosysteme werden besonders durch den hohen Stickstoffgehalt durch Düngung und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln beschädigt. Übermäßiger Einsatz von Antibiotika und Massentierhaltung sind ebenfalls ein ökologisches Problem. Ferner gibt es durch Futtermittelimporte Umweltbelastungen in den Exportländern zum Beispiel durch die Rohdung von Regenwald für den Sojaanbau.
Die am schwersten betroffenen Bereiche sind Ökosystemleistungen (47 Milliarden Euro), Klima (24 Milliarden Euro) und Luft (17 Milliarden). Ökosystemleistungen sind die regulierenden, versorgenden und kulturellen Leistungen, die die Ökosysteme uns durch ihre Existenz zu sichern. Beispielsweise Wasser- und Klimaregulierung, Nahrungsmittel oder auch Erholung.
Diese ökologischen Folgen, die zusammen die hohen externen Kosten der landwirtschaftlichen Lebensmittelproduktion ergeben, trägt unsere Gesellschaft direkt oder indirekt. Direkte Auswirkungen sind hierbei die Aufbereitung des Grundwassers, um es von den Nitratüberschüssen zu befreien und indirekte Folgen sind die Befeuerung der Erderwärmung oder der Rückgang unserer Ökosystemleistungen und deren Funktionalität.
Die wahren Kosten
Bei Einrechnung der externen Kosten ergeben sich die „true costs of food“: Während Äpfel und Möhren ihren Preis behielten, würden Kartoffeln doppelt so teuer und Brotweizen sogar fünf Mal so teuer werden. Rindfleisch wäre rund fünf bis sechs Mal teurer, Schweinefleisch zwei bis zweieinhalb Mal, Geflügelfleisch drei bis vier Mal und Milch fast drei Mal so teuer. Die höheren Kosten ergeben sich gerade bei vielen tierischen Produkten dadurch, dass einerseits die Tierhaltung selber externe Kosten verursacht, zusätzlich aber auch der Futtermittelanbau für die Tiere einen hohen Aufwand kostet. So werden für tierische Lebensmittel weltweit über 70% der landwirtschaftlich genutzten Flächen aufgewendet. Und das obwohl die pflanzlichen Nahrungsmittel gleichzeitig den Grundstein unserer Ernährung bilden.
Kein fairer Preis
Zusammengenommen ergibt sich bei Lebensmitteln weder ein sozial noch ökologisch oder ökonomisch „fairer“ Preis. Um dies zu ändern und einen Wandel hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft bestreiten zu können, bedürfte es ein Zusammenspiel der Verbraucher:innen, der Industrie, der Politik und der Landwirtschaft.
Die Verbraucher:innen müssten in Anbetracht der externen Kosten und des Widerspruchs, dass die Lebensmittel-, aber vor allem die industrielle Fleischproduktion die Grundlagen unserer Existenz zerstören, ihren Fleischkonsum herunterfahren. Und das ist eine einfache Rechnung. Wer statt 55 nur 30 Kilo Fleisch im Jahr isst, kann auch einen höheren Preis für Fleisch bezahlen. So könnten durch bewusstes Konsumverhalten hohe externe Kosten gedeckt werden.
Die Politik müsste die Ziele des Ausbaus der ökologischen Landwirtschaft stärker unterstützen (bis 2030 auf 20%) und Subventionen und Steuern anpassen. Ein Großteil der EU-Subventionen wird abhängig zur Fläche ausgezahlt, so expandieren große Betriebe weiter und kleinere, ökologische bleiben zurück.
In Deutschland ist der Mehrwertsteuersatz von Fleisch bei sieben Prozent, während er bei pflanzlichen Nahrungsmitteln bei 19 Prozent ist. Eine Erhöhung beim Fleisch würde allerdings Bio-Fleisch im Verhältnis weitaus teurer machen als Billig-Fleisch. Hierzu gibt es ökonomische, gesetzliche oder informierende Instrumente, um die Entwicklung zu einer nachhaltigen Landwirtschaft zu begünstigen.
Durch ein Verständnis der externen Kosten, anders ausgerichtete Agrarzahlungen, mehr Transparenz und Vorschriften zur Reduktion der externen Kosten könnten Landwirtinnen mit Maßnahmen wie Kohlenstoffspeicherung, flächengebundener Tierhaltung, der Reduktion von Dünger- und Pflanzenschutzmitteln weitere externe Kosten verhindern und letztlich ihren Teil zur Entschleunigung der unbestreitbaren Erderwärmung leisten.
Quellen:https://web-assets.bcg.com/7a/17/971c6d0e4fcb8067d406b8a9bb4a/die-zukunft-der-deutschen-landwirtschaft-sichern.pdf https://www.boell.de/sites/default/files/2021-01/Fleischatlas2021_0.pdf https://de.statista.com/statistik/daten/studie/215605/umfrage/entwicklung-der-exporte-von-schweinefleisch-aus-deutschland/ https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/oekologischer-landbau/zukunftsstrategie-oekologischer-landbau.html https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/eu-agrarpolitik-und-foerderung/direktzahlung/direktzahlung_node.html