Punk-Hochburg Kuhstedt
Gnarrenburg-Kuhstedt. Hans-A-Plast spielte am 2. Juli in Köln. Der WDR zeichnete das Konzert auf, unter dem Label „Rockpalast.“ Am Wochenende zuvor hat die Band aus Hannover aber uns in der Flachebene besucht. Die Punkband spielte tatsächlich in Kuhstedt bzw. im „Ear“, die Music Hall in dem Ort. Zusammen mit der Punkband Charge.
Da mussten wir hin
Wir, die Gnarrenburger Freunde Jürgen Burfeind (damals gerade frisch 17 Jahre alt geworden), Michael Cordes, Hartwig Schröder (wenige Tage zuvor volljährig geworden) und Ralf Poppe (15einhalb), waren wie ein frischer Satz Saiten gespannt auf das Konzert. Es war klar: Wir mussten dahin. Die Musikzeitschrift Sounds hatte die drei Musikerinnen des Quintetts in der Mai-Ausgabe auf dem Cover abgebildet, und die Band mit einer fünfseitigen Titelstory geehrt.
Das selbstbetitelte Debut-Album von 1979 mit Feuer und einer Ratte auf dem Cover lief auf den Plattenspielern in Gnarrenburg rauf und runter. Bei mir auf Kassette. Ich hatte als Zehntklässler nicht so viel Geld und nahm mir die Scheibe auf.
Neben Hans-A-Plast hörten wir die Dead Kennedys, wenig später die Plasmatics, und auf der UKW-Frequenz vor allem den britischen Sender BFBS, weil der englische DJ John Peel dort regelmäßig die neusten Punk-Bands vorstellte - u. a. eben auch Hans-A-Plast.
Mein erstes Konzert
Der Konzert-Abend begann allerdings mit einer herben Enttäuschung. Während die anderen sofort Einlass erhielten, kam ich nicht rein. Keine 16. Die Musik spielte im Obergeschoss, unten waren die Toiletten und die Kneipe. Dort wartete ich, bis es „Eintritt frei“ hieß und keine Ausweise mehr kontrolliert wurden. Charge hatte ich verpasst, aber egal: Hans-A-Plast sah ich, erlebte ich. Es war mein erstes Konzert überhaupt. Und eine furiose Offenbarung. Punk knallt bei Dorfkids halt mehr Sicherungen durch als bei Stadtkids. Einfach mehr Tristesse und Verzweiflung da. Leute: Kuhstedt! Für uns war das ein Kuhfladen, der sich als Ortsteil verkleidete.
Auch für Sängerin Annette Benjamin war es eine Offenbarung: „Where the hell is Kuhstedt? Hans-A-Plast und Charge sollten dort gemeinsam auftreten. Wir waren auf alles vorbereitet. Keiner von uns hatte je von diesem Ort gehört. Aber die lokalen Punks zeigten sich und drängten ins `Ear´. Die Stimmung war furios“, so die Erinnerung der Sängerin. Wir kennen uns.
Hans-A-Plast zurück
Und: der Dorfpunkpogo überzeugte. Gut ein halbes Jahr später, am 30. Januar 1981, gastierte die Band abermals im „Ear“. Diesmal wurde das Konzert sogar von Radio Bremen 1 aufgezeichnet, später in Ausschnitten gesendet. Natürlich haben wir den Mitschnitt auf Kassette aufgezeichnet. Und natürlich waren wir wieder vollständig vor Ort. Die Music Hall war ein typischer Landgasthof, damals als angesagte Hippie-Disko bekannt. Die Deko waren an die Wände genagelte Birkenstämme und in der Luft lag ein Mix aus Patchouli und Marihuana.
Da ich fünf Wochen zuvor meinen 16. Geburtstag gefeiert hatte, war ich diesmal von Anfang an dabei. Jürgen als Schriftsetzer-Lehrling hatte uns für unsere noch fiktive Band Buttons mit dem Aufdruck „Ausdruckskraft“ gebastelt. Wir standen ganz vorn, schrien Hans-A-Plast unseren Bandnamen entgegen. „Vor mir, in der ersten Reihe riefen einige Kids `Ausdruckskraft´. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte, also fragte ich nach. Tatsächlich eine Band aus der Umgebung. Sie schenkten mir einen Button. Fand ich gut. Kuhstedt war cool“, erzählt Benjamin, die wieder musikalisch aktiv ist. Nach längerer Abstinenz hat sie vor einiger Zeit gemeinsam mit Thomas Götz (Beatsteaks), Max Gruber (Drangsal), Charlotte Brandi und Julian Knoth (Die Nerven) Die Benjamins gegründet.
Der Abend war toll. Punks, aus der weiteren Umgebung angereist, waren eindeutig in der Überzahl. Schwarze Lederjacken überall. Neben der mit Leuchtsternchen dekorierten Bühne stand seltsamerweise eine mit Guru Guru beschriftete Autokarosserie. Der erste Eindruck war: Die sehen überhaupt nicht aus wie Punks, eher wie ’ne Studentenband. Der zweite Eindruck: Verdammt, die können wirklich spielen! Schnell wurde der gesamte Saal zum Pogo-Pit. Und Kuhstedt legte für ein paar Stunden den Geruch von Kuhfladen ab und atmete den frischen Duft der Jugendrebellion.