Erinnerung ohne Verfallsdatum
Worpswede. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Dort waren im Zweiten Weltkrieg mehr als 1.000.000 Menschen ermordet worden, darunter vor allem Juden, Sinti, Roma und Polen. Die genaue Opferzahl konnte nie ermittelt werden. In jedem Jahr finden an vielen Orten in Deutschland Gedenkfeiern anlässlich dieses Ereignisses statt. In Worpswede hatte die Initiative „Nie wieder - Erinnern für die Zukunft - Gemeinsam gegen Rechts“ auf den „Rosa-Abraham-Platz“ zum 80. Jahrestag der Befreiung eingeladen. Anschließend gingen viele Teilnehmer zu Fuß in die Galerie „Altes Rathaus“, um dort die Ausstellung „Gegen das Vergessen - Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, Lager - eine Spurensuche“ zu besuchen.
Errungenschaften bewahren
Die Organisatoren der geteilten Veranstaltung konnten rund 150 Teilnehmer auf dem „Rosa-Abraham-Platz“ mitten in Worpswede begrüßen. Umgeben von einem Kerzenlichtmeer begrüßte Jochen Semken die Anwesenden und sagte, dass es immer wieder wichtig sei, gegen das Vergessen zusammenzukommen. Viele tägliche Nachrichten würden aktuell besorgniserregend sein. Ein amerikanischer Präsident mit „skurrilen Ideen und Fantasien“, Tech-Milliardäre, die es erlaubten, dass auf ihren Plattformen unwahre Behauptungen und Lügen weltweit verbreitet werden, und nicht zuletzt ein Kanzlerkandidat der Union, der aktuell mit dem Feuer spiele, seien dabei nur einige Beispiele. Sein Fazit: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Schrecken der Vergangenheit sich wiederholen. Die Lehren aus der Geschichte sind klar: Wenn wir nicht aufpassen, können wir die Errungenschaften der Demokratie und der Menschenrechte verlieren.“
Auch Jörn Sonntag verband in seiner Ansprache die Vergangenheit mit den Herausforderungen der heutigen Zeit. „Unsere Gesellschaft muss sich als Ganze um die Lösung der Probleme bemühen. Wir sind alle betroffen von den Ereignissen in Magdeburg und Aschaffenburg. Derzeit wird in der Politik viel vom „gesunden Menschenverstand“ gesprochen. Der „gesunde Menschenverstand“ wird nicht hinnehmen, dass für die entsetzlichen Taten von psychisch kranken Menschen ganze Bevölkerungsgruppen wie Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Haftung genommen werden. Hass und Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen sind nichts anderes als die Suche einfacher Antworten durch das Finden von Sündenböcken. Eine humane Gesellschaft wird hier widersprechen. Das Erinnern an Auschwitz mahnt uns: Es ist geschehen, folglich kann es wieder geschehen. Das zu verhindern, ist jede Mühe wert.“
Erinnerung ist wie Wasser
Die Foto-Dokumentation des Schweizer Fotografen Hans-Roland Becker im „Alten Rathaus“ zeigt Bilder „Gegen das Vergessen“. Eindrucksvolle Aufnahmen aus Gefangenlagern, von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen sollen das Leid dieser Zeit und dieser Menschen ins Bewusstsein bringen. Hans-Roland Becker war vor Ort anwesend und gemeinsam mit Burckhard Rehage vom Heimat- und Geschichtsverein Worpswede begleitete er die Anwesenden durch die Ausstellung. Zuvor zitierte Rehage zum Abschluss einer kurzen Rede den Holocaustüberlebenden Noach Flug: „Die Erinnerung ist wie das Wasser: Sie ist lebensnotwendig und sie sucht sich ihre eigenen Wege in neue Räume und zu anderen Menschen. Sie ist immer konkret: Sie hat Gesichter vor Augen und Orte, Gerüche und Geräusche. Sie hat kein Verfallsdatum und sie ist nicht per Beschluss für bearbeitet oder für beendet zu erklären.“ Die Ausstellung in der Bergstraße kann noch bis zum 2. März besucht werden.