Patrick Viol

Hellseatic-Festival: Jenseits immergleicher Selbstbestätigung

Das Hellseatic Festival hielt, was es versprach und bot seinen Gästen nicht nur gute Heavy Music, sondern eine Erfahrung, die es für eine bessere Gesellschaft braucht.

Sängerin Leah B. Levinson Real von Agriculture - Black Metal in Dur, was aber der musikalsichen Aggressivität keinen Abbruch tat.

Sängerin Leah B. Levinson Real von Agriculture - Black Metal in Dur, was aber der musikalsichen Aggressivität keinen Abbruch tat.

Bild: Joerg Monsees

Bremen. A Heavy Music Odyssey - so der Untertitel des Hellseatic Festivals, das am vergangenen Wochenende im Bremer Schlachthof über drei Bühnen gegangen ist. Die Anspielung auf Odysseus Abenteuer trifft aber nur teilweise auf das Festival zu. Treffend ist sie, weil die Musik vieler Bands, die auf dem Hellseatic krass ablieferten, - ähnlich wie Homers 24 Gesänge - auf ihre spezifische Weise klanglich das schwere Schicksal des modernen Subjekts verarbeiten: dass in bürgerlichen Verhältnissen Selbsterhaltung an Selbstzerrüttung gebunden ist, was im Unbewussten des Subjekts Monster hervorbringt, mit dem sein Ich stets von Neuem zu ringen hat. Und dabei nicht selten sich und andere verliert. Die Musik, die man hier vielfach hörte, war nicht einfach eine Wand, die Extreme Metal Bands gerne breitbeinig stehend erzeugen. Sie war - auch da wo Blast Beats-Salven und Doublebass-Gewitter ertönten - ozeanischer Sound, durch den hindurch man in sich hineinfallen konnte; der etwas Reflexives bot, anstatt das Brett vorm eigenen Kopf nur fester zu kloppen. Entsprechend konsequent ist auch der Verzicht auf das Metal im Namen: Heavy Music, schwere Musik, statt plumpes Schwermetall. In einer Gesellschaft, deren Gewalt nicht nur brachial zuschlägt, sondern sich subtil ins Innerstes des Subjekts verästelt, hat die Musik noch etwas zu bieten, die sich dieser Totalisierung der Gewalt in ihren verschiedenen Erscheinungsformen annimmt. Wunderbar zu hören war das bei den Bands ELR, Predatory Void und Agriculture. Vielleicht auch, weil hier Frauen singen und Gitarre und Bass spielen. Treffen sie doch die Anforderungen widersprüchlicher Selbsterhaltung noch mal härter als Männer. Und dafür, dass diese nicht selten eine Schelle verdient hätten, weil sie sich - jeder Selbstreflexion verweigernd - für Frauen als zusätzliche Zumutung erweisen, haben die Bands The Pill und 24/7 Diva Heaven den richtigen Sound und die nötige Energie gefunden.

Auch das ist etwas sehr Erfreuliches am Hellseatic: Harte, aggressive und schwere Musik wird hier nicht nur von Männern gespielt.

Was vom Namen Odyssey nicht auf das Hellseatic zutrifft, ist dessen Bedeutung einer Irrfahrt. Denn das Orga-Team hat mit dem Festival den richtigen Weg im Bereich extremer Musik eingeschlagen. Auch hinsichtlich der Location. Der Schlachthof ist ein toller Veranstaltungsort und das Gastro-Team hat einen guten Job gemacht. Wer sich hingegen auf einer Irrfahrt befindet, ist die Stadt Bremen. Dass sie für ein solches Event kein Geld über hat, im letzten Jahr aber welches für einen am Hauptbahnhof Obdachlose und Junkies im Gewand guter Laune vertreibenden Beach-Club verpulverte, den schon deshalb keiner besucht hat, weil dessen politische Schäbigkeit nur allzu offensichtlich war, ist ein Armutszeugnis für eine Stadt, zumal für eine linke.

Dass sich das Orga-Team trotz finanzieller Selbstanzapfung nicht hat abschrecken lassen, das Festival stattfinden zu lassen, ist hingegen ein Zeugnis von Willenskraft und Leidenschaft. Und - wie mehrere Besucher es formulierten - wichtig für Bremen. Die „Stadt braucht solche Subkultur, die auch ein Statement abgibt für eine bessere Gesellschaft.“ Das tut das Hellseatic: Hier trafen unterschiedlichste Menschen aufeinander, die sich wohl sonst nicht begegnet wären, und hörten unbekannte Musik und hatten gerade deshalb - fernab der immergleichen Selbstbestätigung - eine gute Zeit.

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