

Seit den frühen Morgenstunden am Dienstag zogen sich bundesweit kilometerlange Protestkolonnen durch Städte und über Autobahnen in Richtung Bonn. Tausende Landwirte, darunter sehr viele junge Menschen, demonstrierten gegen das Agrarpaket der Bundesregierung. Auch Landwirte, die nicht den weiten Weg nach Bonn antraten, organisierten Protestkolonnen. Sowohl aus Stade, Cuxhaven als auch aus Osterholz-Scharmbeck fuhren mehrere Hundert Traktoren los.
In Osterholz-Scharmbeck waren es ca 100 Landwirte, die anschließend nach Stade fuhren. In Stade verabredete man eine Fahrt nach Cuxhaven. Hier eine nach Osterholz-Scharmbeck. Nach 6 Stunden, um 14 Uhr, trafen ca. 200 Traktoren an der Stadthalle in Osterholz ein.
Auch der stellvertretende Vorsitzende vom Kreisverband Wesermünde des Niedersächsischen Landvolks, Dirk Tramsen, war zugegen. Nicht in seiner Position als Funktionär, sondern als an den Protesten teilnehmender Landwirt.
„Wir sind es leid, den Schwarzen Peter zugeschoben zu bekommen“, fasst er die grundlegende Motivation des Protestes zusammen. Die Landwirte wollten mit ihrem Protest aber nicht anderen die Schuld zuschieben. Vielmehr möchte man mehr in politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden, so Tramsen. Obgleich man festhalten müsse, dass in der Agrarpolitik der Vergangenheit viele Fehler aufgrund kurzfristiger Zielvorgaben gemacht worden seien. Für deren Konsequenzen möchten die Landwirte aber nicht allein verantwortlich gemacht werden. „Wir stehen vor gesamtgesellschaftlichen Problemen, die man nur gemeinsam lösen kann,“ hält Tramsen fest.
Ein wesentliches Problem für die Landwirte sei z.B., dass Lebensmittel in Deutschland so billig seien. „Wir bekommen für unsere Lebensmittel Weltmarktpreise, während wir die höchsten Standards erfüllen müssen. Da passt etwas nicht, woran auch die Ausgleichszahlungen nichts ändern.“
Überleben könnten in diesen Verhältnissen nur große oder größer werdende Betriebe. Die kleinen hätten das Nachsehen. Deren Sorgen würden von der Politik aber zu wenig berücksichtigt. Ebenso Erkenntnisse der Wissenschaft, so Tramsen. „Das ist besorgniserregend. Darauf möchten wir hinweisen.“
Auslöser für den Protest sei das Agrapaket der Bundesregierung. Demnach will das Kabinett den unter Krebsverdacht stehenden Unkrautvernichter Glyphosat ab 2024 ganz und alle Unkrautkiller und Insektengifte bereits vorher verbieten, um das Insektensterben zu reduzieren. Zudem sollen mehr Agrarsubventionen, die bisher vor allem für den Besitz von Fläche gezahlt werden, z.B. in Umweltprojekte von Landwirten fließen. Von weniger Pestiziden und Flächenzahlungen fühlten sich die Betreibe aber wirtschaftlich bedroht.
Das Bundesagrarministerium widerspricht. Es handle sich lediglich nur um bestimmte Ackergifte und 158.000 Hektar Acker. Die machten lediglich 0,9 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland aus. Dazu kämen 1,1 Millionen Hektar Wiesen, auf denen bereits wenig Unkrautvernichter und kaum Insektengifte eingesetzt würden. Ebenso werde es zur Bewirtschaftung notwendige Ausnahmen geben. Die pro Fläche berechneten Direktzahlungen würden zudem nur um 4,50 Euro je Hektar gemindert, bei einer Gesamthöhe von mehreren Hundert Euro.
Gegenstand der Proteste sei auch die neue Düngeverordnung, weil durch sie Pflanzen zu wenig Nährstoffe bekämen. Das Ministerium aber ist konfrontiert mit durch Düngemittel verursachten, zu hohen Nitratwerten.
Der Umweltschutzverband NABU sieht die Proteste kritisch: Die Landwirte sagen nicht, wie sie aus dem Konflikt mit dem Natur-, Wasser- und Klimaschutz herauskommen wollen, so NABU-Präsident Olaf Tschimpke.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hingegen bezeichnete die Bauernproteste als Ergebnis einer „jahrzehntelang verfehlten Agrarpolitik“. Viele Bäuerinnen und Bauern wären verzweifelt, weil sie von dem, was sie produzieren, nicht mehr leben können.