Nie wieder Auschwitz!
Israel befindet sich im Krieg gegen die Hamas, nachdem diese 1.400 Jüdinnen und Juden getötet hat. Gleichzeitig zeigt die Welt ihre antisemitische Fratze. Vor diesem Hintergrund haben wir zum 9. November vor Ort nachgefragt, was jetzt konkret „Nie wieder!“ bedeutet.
Am 9. November 1938 werden überall in Deutschland Geschäfte von Jüdinnen und Juden beschädigt, jüdische Friedhöfe geschändet, Synagogen in Brand gesetzt und schließlich Juden und Jüdinnen auf offener Straße verprügelt, getötet und in Konzentrationslager verschleppt. Dieser Tag ist als Reichspogromnacht in die Geschichte eingegangen. Mit ihm nahm die Shoah, die Vernichtung der europäischen Juden, ihren brutalen Anfang. Beendet werden konnte sie nur mit äußerster Waffengewalt der Alliierten gegen die vom eleminatorischen Antisemitismus ergriffenen Deutschen.
Das unvorstellbare und präzedenzlose Verbrechen, welches die Deutschen in ihrem Wahn den Jüdinnen und Juden angetan haben, hat den polnischen Premierminister und ehemaligen KZ-Häftling Józef Cyrankiewicz am 14. Juni 1947 bei der Eröffnung des staatlichen Museums in Auschwitz die seither jeden Menschen, der es mit der freien Menschheit und der Demokratie ernst meint, verpflichtende Losung „Nie wieder Auschwitz“ ausrufen lassen. „Nie wieder Auschwitz“ - das heißt für jüdische Menschen, alles dafür zu tun, dass eine industrielle oder „handwerkliche“ Vernichtung von Jüdinnen und Juden sich nicht wiederholt. - Neben den Gaskammern besorgten mobile Terror- und Tötungseinheiten der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS die „Vernichtung feindlicher Elemente“ mit Massenerschießungen.
„Nie wieder Auschwitz“ bedeutete daher 1948 die Gründung des Staates Israels, die Installation einer bewaffneten Schutzmacht aller Jüdinnen und Juden auf der Welt. Und es hieß im selben Jahr, dass das junge Israel Krieg gegen seine arabischen Nachbarn zu führen hatte. Sie wollten keinen jüdischen Staat in ihrer Mitte akzeptieren und daher, wie es seitens der Israel den Krieg erklärt habenden Staaten hieß, die Juden in einem Ausmaß vernichten, wie sie es bisher nicht erlebt hätten.
Pogrom mit SS-Methoden
85 Jahre später heißt „Nie wieder Auschwitz“ für Israel erneut Krieg. Denn knapp einen Monat vor dem 85. Jahrestag der Reichspogromnacht wurde das größte Pogrom seit der Shoah an Jüdinnen und Juden verübt - diesmal in Israel. Ca. 3.000 Terroristen der islamfaschistischen Hamas drangen in der Grenzregion Eschkol nach Israel ein und massakrierten am 7. Oktober über 1.400 Jüdinnen und Juden, Erwachsene, Kinder und Babys. 260 Menschen auf einem Festivalgelände, die weiteren auf offener Straße und in ihren Häusern. Weitere ca. 5.000 wurden verletzt, 239 als Geiseln von der Hamas verschleppt. Die Methode ihres Vorgehens ist vergleichbar mit den Tötungseinheiten der SS hinter feindlichen Linien. Und wie bei den Nazis steckt in dieser Methode der Hamas genozidale Absicht.
Seit dem 8. Oktober befindet sich Israel im Krieg mit der Hamas. Es erfolgen Bombardements aus der Luft und eine Bodenoffensive, um die komplette Infrastruktur der Hamas zu zerstören und sie endgültig zu besiegen. „Nie wieder Auschwitz“ ist für Israel jetzt.
Bestürzung vor Ort
Das Massaker im Land der Shoah-Überlebenden hat im Land der Täter:innen, in Deutschland, zum einen große Bestürzung ausgelöst. Auch vor Ort. Beispielsweise unter jenen, die in den letzten Jahren auf Gedenkveranstaltungen in der Region zum 9. November immer wieder betonten, dass sich die Geschichte nie wiederholen dürfe.
Michael Hannebacher, Bürgermeister Bremervördes, sei fassungslos über „den unbändigen Hass und die grenzenlosen Gräueltaten an den getöteten Menschen allen Alters und Geschlechts.“ Rotenburgs Landrat, Marco Prietz (CDU), habe sich als Vater kleiner Kinder die Berichte kaum anschauen können. Das Entsetzen sei zu groß gewesen. Unglaublich entsetzt sei auch Katharina Hanstein-Moldenhauer von der Worpsweder Initiative „Nie Wieder“. Ihrem Entsetzen trat schnell die Sorge um die Geiseln, aber auch um Israel hinzu: „Mein erstes Gefühl in Bezug auf die Weltöffentlichkeit war, dass sich die Stimmung mit den ersten israelischen Gegenschlägen gegen Israel richten wird. Mit diesem Ausmaß an antisemitischen Ausschreitungen hatte ich jedoch nicht gerechnet. Ich empfinde sie als äußerst beängstigend - wie muss es erst den betroffenen Jüdinnen und Juden in Deutschland und anderswo gehen?“
Offener Antisemitismus
Jüdinnen und Juden in Deutschland und anderswo haben 85 Jahre nach der Reichspogromnacht wieder Angst. Kinder haben Angst zur Schule oder zum Fußballtraining zu gehen. Erwachsene bestellen sich keine Taxis oder Essen mit ihrem richtigen Namen und lassen sich nicht zur eigen Haustür fahren. In Deutschland, aber auch in Frankreich, den USA und anderen westlichen Ländern. Allein in Niedersachsen kam es in der Zeit vom 9. bis zum 17. Oktober zu 22 antisemitischen Vorfällen, wie die Meldestelle RIAS Niedersachsen bekanntgab.
Weltweit wurden Häuser von jüdischen Menschen mit Davidsternen beschmiert, ihre Läden angegriffen, es wurden Brandanschläge auf Synagogen verübt, ein Friedhof in Wien in Brand gesteckt. Menschen wurden auf offener Straße verprügelt, und z. B. in Berlin wurde das Massaker vom 7. Oktober von arabisch-palästinensischen Communities öffentlich gefeiert. Weiter werden - weltweit - auf pro-palästinensischen Demos die Hamas als Freiheitskämpfer verklärt - auch von postkolonialen, antirassistischen Linken - und immer wieder antisemitische Parolen skandiert. In Sydney schrien Tausende, dass die Juden wieder zu vergasen seien. Und in den Sozialen Medien hat sich ein antisemitischer Abgrund aufgetan.
Was heißt „Nie wieder!“?
Dies ist die andere Seite der Reaktionen auf den Mord an 1.400 Jüdinnen und Juden. Und die erfordert eine Schärfung der Beantwortung der Frage nach der Bedeutung „Nie wieder Auschwitz“.
Für den Osterholzer Landrat Bernd Lütjen heißt „Nie wieder“: „Wir sollten uns gemeinsam für eine gerechtere, inklusivere und harmonischere Welt einsetzen, in der jeder Mensch frei von Angst und Bedrohung leben kann. Wir müssen daher alle gemeinsam Aufklärungsarbeit leisten. Dazu zählt natürlich die Integrationsarbeit vor Ort aber auch die Aufarbeitung der Thematik im Unterricht. Vor allem sollten wir denjenigen Menschen, die terroristische Aktionen auf den Straßen feiern, klar machen, dass wir dieses Verhalten in unserer Gesellschaft absolut nicht dulden und konsequent ahnden.“
Marc Breitenfeld, Gnarrenburgs Bürgermeister, sieht in der praktischen Umsetzung des „Nie wieder“ die „volle Ausschöpfung aller juristischen Mittel“ gegen Antisemiten. Das heißt für ihn zum Beispiel, dass die Religionsfreiheit in Deutschland „für religiöse Intoleranz zu keinem Zeitpunkt Platz in unserer Gesellschaft“ macht.
Marco Prietz übersetzt das „Nie wieder“ damit, jüdischen Menschen aktiv beizustehen. Das heißt, islamistischen Fanatismus in der deutschen Gesellschaft nicht auszusitzen - das sei eine Versündigung an „den Nachkommen der Shoah“. Solcher Beistand sei z. B. die Vermittlung, dass das Grundgesetz keine bloße „juristisches Größe, sondern wortgewordener Wertekanon“ sei, an den im täglichen Leben sich alle zu halten haben.
Hannebacher setzt „gegen praktizierten und aufkommenden Antisemitismus“ u.a. auf gute „Integrationsarbeit mit einer reellen Chance auf Akzeptanz und Erfolg“, was „den Einsatz persönlich und beruflich geeigneter Vermittler aus allen Kultur- und Religionskreisen“ voraussetze. Zudem sieht er die Erarbeitung eines „Gesamtverständnis der Zusammenhänge“ in Nahost als „erforderlich; dass die geschichtlichen Hintergründe bereits weit vor dem Holocaust - beginnend vor Christi Geburt - erarbeitet und verstanden werden müssen.“
Seitens der Initiative „Nie wieder“ heißt es: „Für ein tatsächliches ‚Nie wieder‘ müssen alle Demokratinnen und Demokraten, alle demokratischen Institutionen, der gesamte Staatsapparat jeden Tag und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln einstehen. Die Bündnisse gegen Rechts müssen so breit wie möglich sein und auch konservative Parteien einschließen. Rechte Bewegungen und rechte bzw. rechtsextreme Parteien versuchen überall zu spalten ebenso wie die Terrororganisationen von Hamas, Hizbullah und ähnlichen. Wir aber dürfen uns nicht spalten lassen. Der Rechtsstaat und die demokratischen Freiheiten müssen erhalten bleiben.“
Nie wieder muss praktisch werden
Es scheint offensichtlich: Dieser 9. November und die zu ihm - in den letzten Jahren konsequenzlos wiederholte - gehörende Losung „Nie wieder Auschwitz“ darf sich „nicht in geschäftsmäßigen Erinnerungskultur-Ritualen oder einem seelenlosen „Kranzabwurf-Mechanismus“ erschöpfen, wie es der Landesbeauftragte gegen Antisemitismus und den Schutz jüdischen, Prof. Dr. Gerhard Wegner, formuliert. Vielmehr ist es von enormer Wichtigkeit, „dass wir jetzt unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland mit jeglichem, uns möglichen Schutz zur Seite stehen. Der Krieg ruft eine tiefe Verunsicherung bei Jüdinnen und Juden in Deutschland hervor und es ist erschreckend, - obwohl lange bekannt - aus welchen Ecken dieser Konflikt heute den Antisemitismus zu Tage fördert. Die klammheimliche Freude über diesen Krieg auch unter deutschen Menschen gehört auf das Schärfste verurteilt und da, wo relevant, geahndet. Die Bekämpfung von Antisemitismus, der diametral zu unseren Grundwerten der Verfassung steht, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die aktuelle Eskalation der Gewalt in Israel macht dies ganz deutlich. Die Pogrome wie am 9. November 1938 müssen uns wie Mahnmale in den Köpfen verankert sein und uns nun ganz konkret mit Zivilcourage sowie allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln des Strafrechts gegen den Judenhass agieren lassen“, so der Landesbeauftragte gegen Antisemitismus weiter.
Befreiung von der Hamas
Dafür, dass „Nie wieder Auschwitz“ für Israel nach dem größten Pogrom seit der Shoah an seinen Schutzbefohlnen bedeutet, Krieg gegen die Hamas zu führen, bei dem tragischerweise auch die Zivilbevölkerung getroffen wird, hat Katharina Hanstein-Moldenhauer Verständnis. Denn was sollte Israel tun, „wenn der entmenschte Aggressor die von ihm beherrschte Bevölkerung als Schutzschild gegen Angriffe auf seine Kommandozentralen und Waffenlager in seinen Tunneln benutzt? Wenn er nicht bereit ist, die 240 Geiseln freizulassen, sondern sie in seinem unterirdischen Tunnelsystem gefangen hält und eventuell ermordet?“
„Nie wieder“ bedeute daher, dass Israel sich und die Menschen in Palästina von der Hamas befreit. Denn ohne „die Anerkennung des Existenzrechts des Staates Israel durch Palästina und die arabischen Länder wird es zu keinem friedlichen Zusammenleben der beiden Bevölkerungen kommen. Seit 75 Jahren hätten die Palästinenser ihren eigenen Staat haben können. Es ging ihnen und den arabischen Staaten aber nicht darum, sondern um die Vernichtung Israels.“
„Nie wieder“ heißt daher auch, gegen eine Täter-Opfer-Umkehr anzugehen, wie sie gerade aller Orten verbreitet wird.