Aufbruch in die Ferne
Bremervörde (rgp). Mit viel Wortwitz und etwas Ironie begeisterte der Bremer Historiker Dr. Horst Rössler kürzlich rund 70 Zuhörende mit einem Vortrag vom Leben und Überleben in der Fremde im Bremervörder Bachmann-Museum.
Vor dem Beitrag hatte die Geschäftsführerin des Museums, M.A. Ellen Horstrup, noch kurz kommuniziert, dass man mit einem lachenden und einem weinenden Auge aus dem Gebäude ausziehe – um nach Beendigung der Sanierungsarbeiten neu zurückkehren zu können.
Niederlande-England-Amerika
Als Rössler die (nicht vorhandene) Bühne betrat, jubelten die Gäste bereits freudig. Woraufhin der Geschichtsforscher sein Publikum warnte, „vorher klatschen heißt Risiko, Risiko!“ Rössler, der nicht zum ersten Mal im Bachmann-Museum vortrug, beschäftigte sich in einem interessanten, kurzweiligen Vortrag damit, Fragen, Antworten und Ursachen dafür zu finden, warum viele Menschen im Untersuchungszeitraum von 1750-1914 aus dem zentralen Elbe-Weser-Dreieck, bzw. aus den Amtsbezirken Bremervörde, Zeven und Rotenburg loszogen, um in der Fremde ihr Glück zu finden, oder eben periodisch zurückzukehren.
Da der Historiker seine Recherchen in den Archiven der Region angestellt hatte, war er ganz nah dran an den Menschen, die die Region prägten. In einem Zeitfenster von gut 100 Minuten stellte Rössler dar, wo viele hiesige Menschen im Zuge der Fernwanderung hinzogen, wo die Fremde war, und was die Wanderer dort genau gemacht haben. Viele Menschen zog es z.B. als sogenannte Hollandgänger vom Frühjahr bis in den Spätsommer in die Niederlande, wo sie im Torfabbau oder bei der Grasmahd arbeiteten, um das Geld, das sie verdienten, nach der Saison mit nach Hause zu bringen. Andere wechselten dauerhaft nach England, um ihren Lohn in der britischen Zuckerindustrie zu verdienen. Wieder andere machten sich gar auf die beschwerliche Reise nach Amerika. Auswanderer aus dem Raum Bremervörde und Zeven zog es dabei vor allem nach Cole Camp im Benton County in Missouri. Weitere Ziele waren New York, New Orleans oder San Francisco.
Aufstieg eines Kleinbauern aus Lamstedt
Eben dort, in San Francisco, gelang Claus Spreckels (1828 - 1908), Sohn eines Kleinbauern aus Lamstedt, die außergewöhnliche Karriere vom anfänglichen Ladengehilfen zu einem der führenden Zuckerfabrikanten in den USA. Er wurde einer der erfolgreichsten deutschstämmigen Unternehmer in Kalifornien (und Hawaii). Zunächst hatte Spreckels in Charleston eine Tätigkeit in einem Lebensmittelgeschäft übernommen. 1855 siedelte er nach New York über, um in Manhattan ein Geschäft zu übernehmen, dass er mit seinem Schwager Claus Mangels führte.
Ein Jahr später zog er mit seiner Familie nach San Francisco, um zunächst einen Lebensmittelhandel zu betreiben. Wenig später gründeten Mangels und er mit seinem Bruder Peter Spreckels eine Brauerei, deren Verkauf sechs Jahre später das Geld einbrachte, mit dem Spreckels in Kalifornien sowie auf Hawaii Zuckerrüben und Zuckerrohr anbaute. Seine Kenntnisse in der Raffination von Zucker vertiefte Spreckels bei einem Deutschlandaufenthalt. Der Familienmensch Spreckels erzielte große Gewinne, entwickelte später gar modernste Anlagen, wie z.B. die Zucker-Zentrifuge.
Rössler kam an jenem Sonntagnachmittag zudem anderen Wanderern auf die Spur. Wie sie zurechtkamen und was sie erlebten, schilderte der Geschichtswissenschaftler ebenfalls in seinem reich bebilderten Vortrag anhand vieler historischer Quellen. Einzelschicksale, die er in den Archiven recherchiert hatte, gaben einen realistischen Einblick in die Geschichte und das Leben und Überleben des „kleinen Mannes“.